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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Autoren: Rachel Hartman
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mitten in den Hals gestochen. Das war sein gutes Recht. Sie hatte seine Ehre verletzt. Und Lars hätte er vielleicht auch getötet.«
    Er schwieg und starrte vor sich hin, als widerstrebte es ihm, sich weiter zu erinnern. »Aber Ihr habt es nicht zugelassen«, fragte ich nach. »Ihr habt ihn besänftigt.«
    Er sah mich an, als hätte ich Mootya geredet. »Besänftigt? Nein. Ich habe den alten Mann getötet. Ich habe ihn vom Rundturm gestoßen.«
    Als er mein Entsetzen sah, lächelte er zynisch. »Wir leben im abgelegensten Winkel des Hochlands. So etwas passiert dort jeden Tag. Als ich an den Hof von Blystane ging, habe ich den Namen meiner Urgroßmutter angenommen, um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Die Familienverhältnisse der Hochländer sind kompliziert; kein Samsamese an der Küste kommt da noch mit.«
    Das also war des Rätsels Lösung. Er war kein Drache, sondern ein Vatermörder, der seinen Namen geändert hatte. »Und was ist mit Lars?«
    »Ich habe ihn in den Bergen ausgesetzt und erklärt, dass ich ihn töten würde, falls er mir noch einmal unter die Augen käme. Ich hatte all die Jahre keine Ahnung, wo er sich aufhielt, bis er hier aufgetaucht ist wie ein Rachegeist, der mich verfolgt.«
    Er sah mich verächtlich an; er hasste mich dafür, dass ich nun so vieles wusste, obgleich er es mir selbst erzählt hatte. Ich räusperte mich. »Was werdet Ihr jetzt tun?«
    Er stand auf, zog sein schwarzes Wams zurecht und verbeugte sich spöttisch. »Ich kehre nach Samsam zurück. Ich werde dem Herrscher die Augen öffnen.«
    Sein Ton war so kalt, dass es mir eisig über den Rücken lief. »In welcher Beziehung?«, fragte ich bang.
    »In der einzig möglichen. Dass die Menschen über den Tieren stehen.«
    Nach diesen Worten stolzierte er davon. Mit ihm schien auch die ganze Luft zum Atmen zu weichen.

    Ich fand Glisselda in Millies Zimmer vor; sie hatte den Kopf in die Hände gestützt und weinte. Millie, die die Schultern der Prinzessin streichelte, blickte erschrocken auf, weil ich, ohne anzuklopfen, eingetreten war. »Die Prinzessin ist müde«, sagte sie und wollte mir den Weg versperren.
    »Lass es gut sein.« Glisselda trocknete sich das Gesicht. Ihr Haar fiel offen auf die Schultern und ihre verweinten blauen Augen ließen sie noch jünger aussehen. Sie versuchte zu lächeln. »Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe, Fina.«
    Mein Herz krampfte sich zusammen bei diesem Abbild des Jammers. Sie hatte gerade erst ihre Mutter verloren und die Bürde eines ganzen Königreichs lag auf ihren Schultern. Und ich hatte mich als schlechte Freundin erwiesen. Ich konnte sie nicht nach Kiggs fragen, weiß der Himmel, wieso ich überhaupt auf diese Idee gekommen war.
    »Wie geht es Euch?«, fragte ich und setzte mich ihr gegenüber.
    Sie sah auf ihre Hände. »Ganz gut, wenn ich in der Öffentlichkeit bin. Ich habe mir nur gerade etwas Zeit gegönnt, um … um Tochter sein zu dürfen. Wir müssen heute Nacht mit Sankt Eustach die Totenwache halten, da ruhen die Augen der ganzen Welt auf uns. Daher haben wir beschlossen, eine stille, würdige Trauer an den Tag zu legen. Das heißt, dass wir uns jetzt die Zeit nehmen müssen, um wie ein kleines Kind zu weinen.«
    Ich dachte zuerst, sie spräche von sich in der Mehrzahl, wie es ihr als Königliche Hoheit auch zustand, aber dann sagte sie: »Du hättest uns sehen sollen, wie wir nach der Ratsversammlung diesen Brief aufgesetzt haben. Mir war zum Weinen, und Lucian versuchte, mich zu trösten, was wiederum ihn zum Weinen brachte, woraufhin ich umso mehr schluchzen musste. Ich habe ihn in seinen Trotzturm geschickt, damit er dort seinen Gefühlen freien Lauf lassen kann.«
    »Er hat Glück, dass Ihr Euch so um ihn sorgt«, sagte ich und meinte es auch so, ganz gleich wie zerrissen ich mich innerlich dabei fühlte.
    »Das Gegenteil ist wahr«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Aber die Sonne geht bald unter, und er ist noch immer nicht zurückgekommen.« Ihr Gesicht verzog sich, und sofort eilte Millie zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. »Würdest du ihn holen, Fina? Ich wäre dir sehr dankbar.«
    Ausgerechnet jetzt, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, ließ mich meine Lügenkunst im Stich. Zu viele widerstrebende Gefühle stürmten auf mich ein. Wenn ich ihr nun aus eigennützigen Gründen einen Gefallen erwies, war das schlimmer als tugendhaft, aber schroff zu sein? Gab es denn keinen Ausweg, ohne Schuld auf mich laden zu müssen?
    Glisselda bemerkte
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