Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana
Autoren: Thomas Lehr
Vom Netzwerk:
jeder Pore
    Hollywood
    wie ich es von Kindesbeinen an vor dem Fernseher einatmete den unermüdlich flackernden Dunst der tausendfachen falschen Dschinns die nie aus ihrem Glas entweichen
    (erstickten sie doch am beißenden Sauerstoff
    der Wirklichkeit)
    du musstest fliehen Schwester du brauchtest
    Asyl
    aus nie ganz ersichtlichen geheimnisvollen todernsten Gründen und auf ähnlich unterirdische Weise warst du mit mir verwandt eben eine Schwester (im gleichen Alter ein Zwilling aus einem anderen Körper) die an meiner Seite lebte mit mir zur Schule ging jede Mahlzeit mit mir teilte und in meinem Bett schlief der ich wie einem eigenwilligen stolzenmit Goldkettchen Münzschnüren (völlig lautlosen) Glöckchen silbernen Schleiern verhängten Schatten alles was ich tat vormachen und erklären musste in einem unauflöslichen Geflecht aus Lust und Leid (eine auf mich angewiesene Zeugin für alles und jedes zu haben
    das immergleiche stumme aber vollkommen deutliche ablehnende Urteil lastete auf mir denn nichts war dir gut genug und nichts konnte dich beeindrucken)
    ein ganzes Jahr lang träumte ich von dir
    der arabischen Prinzessin
    trug dich mit mir herum wir lebten noch alle (Martin Amanda und ich) zusammen in Amherst ich war elf Jahre alt die Paris-Reise lag noch in der Zukunft ich las zu viel und war zu viel allein ich stieß meine besten Freundinnen vor den Kopf mit
    deinem Stolz
    oder dem Phantom des Stolzes das ich mir von dir lieh für die ich keinen Namen finden
    wollte
    an deren stummer störrischer schöner Fremdheit ich litt um sie in mich aufzunehmen um etwas Ähnliches in mir wachsen zu lassen vielleicht hattest du fliehen müssen weil du die Nächste warst mit der ein König Schahriyar ihre letzte Nacht verbringen wollte und ich behütete dich ich schützte dein Leben und las und las um in dem Augenblick in dem er uns finden würde vor ihn hinzutreten und ihn aufzufordern die Nacht mit mir zu verbringen und ihn einzuspinnen in das wunderbare
    Garn meiner Erzählungen
    aber die Ohnmacht der Stolz die arabische Prinzessin
    war ich als
    die Angst vor der Trennung von Martin und Amanda der Versuch ihnen zu zeigen dass sie mich verletzen würden
    mit neunzehn begreifst du das allmählich es ist von heute aus betrachtet fast leicht
    dem Meer den Rücken zu kehren (ein besserer Titel für das Gedicht?)
    auf das weiße Gebäude zuzugehen das Sommerhaus das dreimal so groß ist wie unser altes Familienhaus in Amherst und cottage heißen muss da hier noch ganz andere Paläste zu Hütten werden eine flache grasbewachsene Düne steigt (wie der fahle Rücken eines mageren afrikanischenBüffels) gegen eine höhere an auf der Hagebuttenhecken mit grellrot leuchtenden Früchten den Weg zu Schlangenlinien zwingen
    von dort oben
    sehe ich doch noch einmal zurück Richtung Strand in die vergangenen Tage Silber fliegende Gischt hochschäumende Wellen es war heiß und oft stürmisch ein sprühender energischer Noch-einmal-Sommer in der blendend verschleierten Gegenlichtluft bewegten sich die Schemen der Badenden wie in einer fröhlichen Hypnose (sie hören sich nicht sie scheinen keine Absichten mehr zu haben) ich selbst bin im Vordergrund als könnte ich noch weiter im Vordergrund sein und mich beobachten in den schattenhaften wie betäubten Farben ein schlankes (erwachsenes) Mädchen mit rotem (fast grau erscheinenden) Badeanzug mit nassen Haaren erstarrt in einer schwungvollen Geste die langen Arme halb vom Körper gestreckt und mit gedrehter Hüfte als hätte ich gerade einen Frisbee geworfen hin zu
    Eric
    der mir in den flachen Wellen entgegenkommt lächelnd mit hängenden Armen und ich erschrecke für eine Sekunde als hätte ich wirklich etwas geworfen das ihn verletzen könnte ihn ins Gesicht treffen oder am Hals den ich küsste wir
    versteckten uns manchmal
    liegend
    hinter unseren Badematten vor den herangepeitschten Sandkörnern vor den Blicken lagen wie in einem Strohkorb den ein riesiger Vogel übers Meer trug schließ nur einmal die Augen Eric
    während die eilends herbeigerufenen Bauarbeiter (in East Hampton ist eine schwarz verkohlte Garagenruine recht unpassend) den Schutt beseitigten und leise und diskret in der vornehmen letzten Dorfstraße vorm Strand eine neue schmucke Autohütte (Garagenpalast) errichteten
    in diesen zwei Wochen in denen nicht mehr nicht weniger geschah als
    der sanfte kaum spürbare
    Austausch
    des Planeten unter unserem Strandstreifen es
    fühlt sich so befreiend und beängstigend an es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher