Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
ihren Klammergriff um meine Gurgel, sofort ergriff mich eine irre Hoffnung, doch die andere presste nur umso fester, und alles Hoffen schien umsonst. Ich sah nichts mehr, doch so dicht, wie wir standen, spürte ich Drago etwas aus seiner Hosentasche fummeln, etwas Hartes .
    »Sekunde«, vernahm ich, umgeben von Schwärze, gepeinigt von Krämpfen, ein schwaches Flüstern, »muss nur eben noch entsichern«, gefolgt von dem allerleisesten vorstellbaren >Clic<.
    Irgendwo, schon ganz weit weg, hauchte Drago: »Vergiss es, Schutzi! Du hast es nicht in dir. Ich war im Krieg und ich weiß das.«
    Und mit unendlicher Melancholie begriff ich, dass er Recht hatte. Hunde vielleicht .
    »Hör auf!« Ich lag auf dem Boden, mein Gesicht brannte, als ob es in Flammen stünde, und Scuzzi, der über mir hockte und mich mit Ohrfeigen ins Leben zurückholte, grinste schief und bat: »Komm, eine noch!«
    Dann half er mir in eine sitzende Position. Mein Hals war ein Klumpen Gelee. Jeden Atemzug musste ich wie mit der Faust hindurchschieben, Töne kamen nur krächzend heraus, mühsam wie Erbrochenes.
    Vor mir auf dem Boden lag Drago, aus dem Stand zusammengesunken in eine verdrehte Position, einen Totschläger lose in der einen Hand.
    »Tot?«, fragte ich, mit erzwungener Einsilbigkeit.
    »Nh-nh.« Scuzzi sah fast beschämt drein. »Er hatte Recht. Ich habe es nicht in mir.« Achselzucken. »Also«, meinte er und griff hinter sich, »habe ich ihm eins hiermit übergezogen.« Zufrieden ließ er ein abgebrochenes Stuhlbein in seine Handfläche klatschen.
    Drago war mit einem Geräusch wie ein Nebelhorn zu sich gekommen, als ihn die Bullen hochhoben und fesselten.
    Ich sah zu, wie sie ihn in die grüne Minna verfrachteten und fühlte mich recht zufrieden dabei. Wer mir aufs Kopfkissen scheißt, hat mein Mitgefühl ein für alle Mal verwirkt.
    Scuzzi nahmen sie mit auf die Wache, mich setzten sie an der Notaufnahme des Evangelischen Krankenhauses ab.
    Jemand nahm mein Kinn hoch und sprach mit mir. Dr. Möller. Ich freute mich ehrlich, ihn zu sehen, auch wenn ich im Moment nicht recht wusste, wo er so plötzlich herkam und was er sagte.
    »Ich sagte: Mund auf!«
    Es ging nicht gut. Der Spatel war rau, vom Kinn abwärts war alles dick, heiß und roh.
    »Kühlen, kühlen, kühlen. Viel mehr können wir im Augenblick nicht tun. Hier, trinken Sie das erst mal, wenn Sie können.«
    Ein braunes, dünnes, schwach nach Medizin riechendes Zeugs. Es glitt mir den Rachen hinunter wie ein flüssiges Reptil und hinterließ eine Spur intensiver Kühle. Ich winkte nach mehr.
    »Was haben wir sonst noch?«
    Ich dachte ein bisschen über die Frage nach und deutete dann auf meinen linken Arm.
    Der Jackenärmel wollte sich nicht bewegen lassen.
    »Verklebt. Ich werde ihn aufschneiden müssen.«
    Ich nickte.
    Möller pfiff durch die Zähne. Eine schorfige, schwarze Kruste wucherte auf grünblau verfärbtem Untergrund.
    »Noch 'ne Autotüre?«, fragte er.
    »Hund«, sagte ich und zwängte noch etwas von dem blassbraunen Zeugs meinen Kehlkopf hinunter. Ich hatte noch nie etwas Besseres getrunken.
    »Herr Kryszinski«, sagte Möller, tastete und rieb meinen Arm schließlich mit etwas ab, das stechend roch und in den Wunden brannte, »ich bin weit davon entfernt, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, aber kann es vielleicht sein, dass Sie sich vorzugsweise mit«, er suchte nach einem Wort, »Kreaturen anlegen, denen Sie nicht gewachsen sind?«
    Darüber grübelte ich eine Weile. Möller hatte meinen linken Arm verbunden und mit gerunzelten Brauen die Gipsreste von meiner Rechten entfernt, als ich sie ihm kurz entzog, denn ich brauchte sie für meine Entgegnung.
    »Den hier«, krächzte ich und zeigte mit meiner Linken auf die zermanschte Hand, »habe ich ruiniert.«
    »Den«, ich zeigte auf meine zermanschte Nase, »habe ich überfahren.«
    »Der«, wechselte ich die Hand und richtete sie auf meine zermanschte Kehle, »ist auf dem Weg in den Knast, und er hier«, und ich tappte ganz leicht auf meinen linken, frisch verbundenen, zermanschten Arm, »er hier ist tot.«
    Der Taxifahrer rüttelte sachte an meiner Schulter. »Ey, Kumpel, wir sind da.«
    Ich fischte mit spitzen Fingern einen Zwanziger aus der Jakkentasche, er wollte herausgeben, doch ich winkte nur ab und stieg mühsam aus.
    »Pass auf dich auf«, sagte er noch, dann zog er die Türe zu und brummte davon.
    Vögel trällerten, als könnten sie mit gemeinsamer Anstrengung den Frühling herbeilocken.
    Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher