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Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
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bekam ich es kaum an den Hals gesetzt. Mein linker Arm war völlig kraftlos, protestierte gegen jede Bewegung und schien obendrein mit dem Ärmel meiner Lederjacke eine Art organischer Verbindung eingegangen zu sein.
    Um das Gewicht zu mildern, nahm ich einen ordentlichen Schluck, und das Schlafbedürfnis kam über mich wie eine Vollnarkose.
    Ich stand auf. Es hatte keinen Zweck. Katze her und ab, oder ich drohte vom Hocker zu laufen wie eine Dali'sche Uhr.
    Die Haustür schlug zu, und spontaner Alarm half mir, die Augen offen und auf die Türe zur Küche gerichtet zu halten. Es war Drago, und ich atmete wieder. Er kam herein wie eine Sturmbö, stoppte abrupt und sah mich groß an.
    »Was machst du denn hier?«, fragte er heiser. »Hab deinen Wagen gar nicht gesehen draußen.«
    Vielleicht war ich nur anfällig, sensibilisiert durch Bernhards hohläugige Totenschädelerscheinung, doch ich fand, auch Drago sah ungewöhnlich beschissen aus. Blass, unrasiert, das sonst immer so straff nach hinten geleckte Haar in Aufruhr. Um das Kinn trug er eine Binde, oben auf dem Kopf zusammengeknotet. Noch ehe ich fragen konnte, sagte er: »Zahnschmerzen.«
    Ich machte ein mitfühlendes Geräusch und totterte zur Türe wie ein vorzeitiger Greis.
    »Zahnschmerzen?«, fragte ich dann, und blieb noch mal stehen, weil mir irgendwas spanisch vorkam.
    »Ja, warum?«, fragte Drago zurück, in einem Ton und mit einem Blick, die beide deutlich machten, dass mich das eigentlich nichts anging.
    Recht hatte er. Ich tapste weiter.
    »Ich mein ja nur«, sagte ich, in der Küchentüre. »Weil da Blut rauskommt, aus deinem Wickel.«
    »Stimmt«, sagte Bernhard.
    Veronikas Fingernägel? fragte ich mich, ein paar Meter weiter, und nahm ächzend die Treppe in Angriff.
    »Beim Rasieren geschnitten, wenn ihr es wissen müsst«, schallte mir noch nach.
    Also was denn jetzt?, dachte ich und öffnete zögernd meine Wohnungstüre. Zahnschmerzen oder - Schwups, da war sie schon. Motor an, Beine gerade gedrückt, Schwanz senkrecht, oben in ein ständig die Seiten wechselndes >S< auslaufend, und rieb sich mit aller Macht an meinen Waden.
    Ich beschloss, auf sämtliche Tricks und Finten zu verzichten und gab es ihr klipp und klar.
    »Ich pack dich jetzt ein und nehm dich mit zu deinem Busenfreund Pierfrancesco«, sagte ich zu ihr, löste mich von ihren Gunstzuweisungen und machte mich auf die Suche nach einem Behältnis. Einer Reisetasche etwa. Und wenn die Gefahr vorüber ist, dachte ich dabei, dann vergess ich dich da, und ihr könnt glücklich werden miteinander.
    Ich fand einen Pappkarton, doch der durchgeweichte Boden fiel schon beim Hochnehmen raus.
    Blödsinn, holte mich ein früherer Gedanke ein. Veronika mochte zwar scharfe Nägel haben und eine kurze Lunte, doch Drago hatte Reflexe wie ... wie ... wie eine verdammte -Schwups, da kam sie, in vollem, lang gestrecktem Sprint und schoss mit einem einzigen Satz durch die fehlende Fensterscheibe hinaus in die Nacht.
    »Ey!«, schrie ich ihr wütend hinterher. Da klappte meine Wohnungstüre zu. Leise.
    Die Katze war nicht vor mir und meinen Umzugsplänen geflüchtet, durchfuhr es mich. Sondern vor . Elvis? Einem seiner schweren Jungs? Den nutzlosen Pappkarton immer noch in den Fingern, drehte ich mich wie unter Zwang zur Türe. Drago stand da und atmete schwer durch die Nase, massiv und bedrohlich wie ein mit Hörnern und Hoden bestücktes, missgestimmtes Huftier . Sondern vor Drago. Sie hatte ihm kürzlich den Schmiss verpasst.
    Ich schüttelte den Kopf, im Versuch, etwas gedankliche Klarheit hineinzurütteln. Rasches Umdenken schien gefragt. Ich war immer davon ausgegangen, dass der vermeintliche Katzenkiller auch der war, der mir die Hütte so verwüstet hatte, doch die neuesten Erkenntnisse machten alle keinen Sinn .
    Ansatzlos begann Drago zu reden. »Wir haben uns gestritten«, sagte er düster. Wie selbstverständlich trat er ins Schlafzimmer und blickte sich ohne Interesse um, als sähe es hier so aus wie in jedem anderen Haushalt auch. Ich setzte den Pappkarton ab.
    »Nichts Ernstes«, fügte er beruhigend hinzu. »Ich besuche nur für ein paar Tage meine Eltern. Bis sich der Staub ein wenig gelegt hat.« Er machte einen Schritt in meine Richtung. Ich machte einen Schritt zurück. Ich dachte an die Katze, die Drago eigentlich immer umschnurrt hatte. Was ging hier ab? Dragos Eltern wohnten in Sarajewo.
    »Sie hat dich rausgeschmissen«, sagte ich. Ich kannte diesen unsteten Blick, diesen
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