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Sense

Sense

Titel: Sense
Autoren: Jörg Juretzka
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Weia! Beinahe hätten wir uns wieder gedreht, doch es mangelte einfach an Platz. So kerbten wir nur etwas Zementputz mit dem Heck.
    Mit schwitzigen Fingern meisterte ich das nächste Eck ohne Ansätze zu einer Pirouette und presste den Wagen mit einem kleinen Aufatmen die Kopfsteinpflastergerade hinunter. Das Kurvenfahren mit diesem Biest brauchte wohl noch etwas Übung. Ich schaltete gerade in den Dritten hoch, als der Innenspiegel abfiel.
    »Italienische Bastelbude«, murrte ich.
    Scuzzi lachte. Wer Doris-Day-Filme zum Schreien findet, kann wahrscheinlich über alles lachen.
    »Nichts gegen einen Toyota, was?«, fragte er und lachte noch mehr, und - schwer zu erklären, wieso - wenn wir nicht mit 180 auf eine doppelkurvige Unterführung zugeschossen wären, ich glaube, ich hätte mit eingestimmt.
    Alle Ampeln waren rot, wie immer. >La Ola< am Totensonntagmorgen ganz allein im Müngersdorfer Stadion klappt besser als die so genannte >Grüne Welle< in Mülheim, egal zu welcher Zeit, egal mit welchem Fahrzeug, egal bei welchem Tempo. Auch gegen Mitternacht mit einem Ferrari und schlappen zweihundert Sachen auf der Uhr funktioniert sie nicht, ihr könnt es mir glauben.
    »Sie sind immer noch da.« Scuzzi war in seinem Sitz halb herumgerutscht und beobachtete durch das schmale Heckfenster die hinter uns ablaufende Straße. Er hatte sich wieder eingekriegt.
    »Ich weiß«, knurrte ich und legte kurz den Vierten ein, bevor ich wieder runterschaltete.
    Selbst um diese für unsere Stadt nachtschlafende Zeit gab es noch Querverkehr an den Kreuzungen, und ich war nicht gerade eben erst der Kugel einer 44er entronnen, um gleich darauf in einer Kollision mit einer kondensmilchfarbenen Kraftdroschke zu sterben.
    Also verzögerte ich vor den roten Ampeln, auch wenn es jedes Mal so scheinen wollte, als ob der BMW dadurch einen Riesensatz nach vorne machte. Doch es sah nur so aus, hoffte ich, denn sobald ich erneut ins Gas langte, fiel er stets wieder ein ordentliches Stück zurück.
    Außerdem hatte es wenig Zweck, sich hier im Stadtverkehr bekloppt machen zu lassen. Mein Ziel war die Autobahn. Da würde ich Kante geben.
    Eigentlich hatte ich an der Ruhrorter Straße rechts gewollt, von da bis zur Bahn wäre es nur noch ein langer, geschmeidiger Spurt, unterbrochen von gerade mal drei Ampeln, doch ein Opel mit einem Behindertenaufkleber auf dem Kofferraumdeckel hatte die gleiche Idee. Ich brauchte nur zu sehen, wie der Fahrer seine Karre um die Ecke bugsierte, als hätte er die Lenkung blockiert und müsste die Vorderachse anheben und Stück um Stück versetzen, und ich wusste, es würde zu lange dauern. Entnervt und im Kopf Alternativen sortierend röhrte ich, so knapp es ging, an ihm vorbei. Was ist es nur mit Behinderten? Dass sie nicht vernünftig laufen können, ist tragisch, sicher, aber warum müssen die auch noch so behindert Auto fahren?
    Richtung Stadtgrenze dünnten sich die Ampeln aus. Vierter Gang. Hossa. Auf Pflaster. Mit Straßenbahnschienen dazwischen. Das Auto hopste und bockte und wollte partout nicht geradeaus laufen, sondern, wie ein Hund mit voller Blase, eifrig jede einzelne Laterne ansteuern. Ich versuchte, die Buckel mit höherem Tempo glatt zu bügeln. Es wurde schlimmer. Über sechstausend Touren ging der Motor vom heiseren Brüllen in ein frohlockendes Kreischen über. >Dreh mich!<, schrie er, >dreh mich, wenn du dich traust!< Scuzzi, dem es über einen etwas eingesunkenen Kanaldeckel gerade zum dritten Mal die Munition aus der Trommel geschüttelt hatte, warf die Waffe resigniert in den Fußraum.
    Der BMW fiel jetzt sichtlich zurück, und ein bisschen eine kleine Jubelstimmung wollte mir das Bauchfell kitzeln.
    Man kann wohl davon ausgehen, dass ein Ferrari über eine hervorragende Bremsanlage verfügt und über vier breite, gut haftende Reifen und ein straffes, sauber abgestimmtes Fahrwerk, um ihre Kräfte zu übertragen. Doch selbst all das zusammen ist leider machtlos gegen die Gesetze der Physik und einen Fahrer, der mehr nach hinten blickt als nach vorne.
    Die Ampel war sehr rot und sehr nahe, als ich endlich in die Eisen stieg. Da ich eh geradeaus weiterwollte, war es, fand ich, nicht ganz so tragisch, dass wir schon gegen etwas Schwereres hätten rauschen müssen, um hier noch zum Stehen zu kommen. Erst als Scuzzi scharf die Luft einsog und sich mit Armen und Beinen gegen das Armaturenbrett stützte, bemerkte ich, dass von links ein mit Ballonreifen und Rammschutz ausstaffierter, dicker, großer,
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