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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel
Autoren: Nella Larsen
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hoch lächelte, als sie etwas murmelte – vielleicht ›danke‹. Seltsam, diese Art Lächeln. Irene konnte es nicht eindeutig bestimmen, sie war sich aber sicher, sie hätte es an einer anderen Frau als eine Nuance zu aufreizend für einen Kellner eingestuft. Etwas an diesem Lächeln ließ sie allerdings zögern, es so zu benennen. Vielleicht der gewisse Eindruck von Selbstsicherheit.
    Der Kellner kam mit dem Bestellten zurück. Irene beobachtete, wie sie ihre Serviette entfaltete, sah, wie der Silberlöffel in der weißen Hand das matte Gold der Melone zerteilte. Als ihr bewusst wurde, dass sie hingestarrt hatte, sah sie schnell weg.
    Ihr Geist wandte sich wieder den eigenen Angelegenheiten zu. Das Problem, welches der beiden Kleider passend war für die abendliche Bridge-Party in Räumen mit so dicker, heißer Luft, dass jeder Atemzug wie das Löffeln von Suppe ist, war geklärt. Die Kleiderfrage abgehakt, drehten sich ihre Gedanken wieder um die Schwierigkeit bei Teds Zeichenheft, ihr Blick war leer, auf den fernen See gerichtet, als ihr mit dem sechsten Sinn überscharf bewusst wurde, dass jemand sie beobachtete.
    Betont langsam schaute sie sich um und sah direkt in die dunklen Augen der Frau im grünen Kleid am Nachbartisch. Aber offensichtlich war es dieser nicht klar, dass ein so starkes Interesse, wie sie es an den Tag legte, peinlich sein könnte, und sie starrte weiter. Sie schien mit äußerster Konzentration und Zielstrebigkeit entschlossen, sich für immer jede Einzelheit in Irenes Gesichtszügen unauslöschlich einzuprägen, und zeigte auch keinerlei Befremden, dass sie bei ihren forschenden Blicken ertappt worden war.
    Stattdessen war Irene aus der Fassung gebracht. Als sie spürte, dass ihr bei dieser fortwährenden Musterung die Röte ins Gesicht stieg, senkte sie den Blick. Was mochte der Grund sein für eine derart hartnäckige Aufmerksamkeit? Hatte sie bei ihrer Hast im Taxi den Hut falsch herum aufgesetzt? Vorsichtig befühlte sie ihn. Nein. Vielleicht hatte der Puder Streifen im Gesicht hinterlassen. Sie strich rasch mit dem Taschentuch darüber. Stimmte mit ihrem Kleid etwas nicht? Kurze Kontrolle. Alles tadellos. Was war es?
    Wieder schaute sie hoch, und einen Augenblick lang erwiderten ihre braunen Augen höflich den Blick der schwarzen Augen, der nicht auswich oder flackerte. Irene zuckte im Geiste mit den Schultern. Na gut, soll sie gucken! Sie versuchte, die Frau und ihr Beobachten gleichmütig hinzunehmen, konnte es aber nicht. All ihre Anstrengungen, sie zu ignorieren, waren vergeblich. Sie riskierte einen heimlichen Blick. Noch immer das Starren. Was für seltsame, verträumte Augen sie hatte!
    Und allmählich regte sich eine leichte Unruhe in Irene, verhasst und schrecklich vertraut. Sie lachte leise, aber ihre Augen blitzten.
    Wusste diese Frau, konnte diese Frau irgendwie wissen, dass hier, genau vor ihren Augen, auf dem Dach des Drayton eine Schwarze saß?
    Absurd! Unmöglich! Weiße waren doch so dumm in solchen Dingen, trotz ihrer Behauptungen, sie könnten das anhand lächerlicher Einzelheiten feststellen: Fingernägel, Handflächen, Form der Ohren, Zähne und ähnlich blödem Quatsch. Sie wurde immer für eine Italienerin, Spanierin, Mexikanerin oder Zigeunerin gehalten. Niemals hatte man sie allein auch nur im entferntesten verdächtigt, eine Schwarze zu sein. Nein, die Frau, die dort saß und sie anstarrte, konnte es unmöglich wissen.
    Dennoch fühlte Irene nun, wie Zorn, Verachtung und Angst sich ihrer bemächtigten. Es war nicht so, dass sie sich schämte, eine Schwarze zu sein, selbst wenn es publik wurde. Die Vorstellung, dass man sie an irgendeinem öffentlichen Ort hinauswarf, selbst so höflich und taktvoll, wie es das Drayton wahrscheinlich praktizieren würde, beunruhigte sie.
    Doch diesmal blickte sie kühn in die Augen zurück, die noch immer ungeniert auf sie konzentriert waren. Sie kamen ihr nicht feindselig oder missgünstig vor. Eher hatte Irene das Gefühl, sie seien bereit zu lächeln, wenn sie es denn täte. Natürlich Unsinn. Das Gefühl verschwand, und sie wandte sich ab mit der festen Absicht, ihren Blick auf den See zu richten, die Dächer der Gebäude auf der gegenüberliegenden Straße, den Himmel, ganz gleich wohin, nur nicht auf diese irritierende Frau. Fast sofort ging der Blick jedoch wieder zurück. In ihrem diffusen Unbehagen wurde sie von dem Wunsch gepackt, die rüde Beobachterin mit Blicken aus der Fassung zu bringen. Angenommen, diese Frau
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