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Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)

Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)

Titel: Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Autoren: Gianluigi Nuzzi
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nur als eine ferne Möglichkeit.
    Unser Mann aber steht vor einer noch schwierigeren Entscheidung. Er
muss klären, ob er die Mission der Wahrheit, zu der er sich seit dem Tod Karol
Wojtyłas bekennt, zu Ende bringen soll – ganz im Einklang mit dem Diktum seines
Nachfolgers Benedikt XVI.: »Die Wahrheit
kostet Leiden in einer Welt, in der die Lüge Macht hat.« Das aber bedeutet
nichts anderes, als die Wahrheit über die heiligen Hallen öffentlich zu machen,
damit die Händler aus dem Tempel vertrieben werden können. Es handelt sich um
eine Entscheidung, die – wie sie auch ausfällt – das Leben dieses Mannes für
immer verändern wird. Er steht zu seinen Prinzipien, und er hat im Laufe der
Zeit alle Folgen durchgespielt, die sein Handeln nach sich ziehen könnte. Auch
die Möglichkeit, enttarnt zu werden und die eigene Zukunft aufs Spiel zu
setzen.
    Instinktiv ist er dem Papst in einem der seltenen Momente gefolgt,
in denen er den Vatikan inkognito verlässt. Nicht so sehr, um das Ziel zu
erfahren, das der Wagen ansteuert. Sondern um – wenn auch aus der Distanz und
nur in Gedanken – einen geheimen Moment mit jenem Mann zu teilen, der die
Kirche auf Erden leitet. Und um eine Entscheidung zu treffen.
    Der schwarze Wagen passiert das Tor eines Nonnenklosters. Es handelt
sich um die Casa di Procura, die römische Vertretung der Schönstattbewegung,
eines Säkularinstituts aus Deutschland. Ratzinger ist im Begriff, eine der
wenigen Freundschaften zu pflegen, die ihm verblieben sind, seit er den Stuhl
Petri bestiegen hat, lässt man seine Beziehungen zu Kardinälen und anderen
geistlichen Würdenträgern außer Acht. Erwartet wird er von einer betagten
deutschen Ordensschwester, Birgit Wansing, einst seine zuverlässige Sekretärin,
mit der er Erinnerungen austauscht, der er gern zuhört und deren große
Wertschätzung er genießt. Abgesehen von seinem Bruder Georg, dem deutschen
Bankdirektor Thaddäus Kühnel und seiner ehemaligen Haushälterin, der ihm treu
ergebenen Musikprofessorin Ingrid Stampa, gibt es nicht viele, die sich einer
solchen Zuwendung erfreuen. Schon das zeigt, wie tief die Abneigung des Papstes
gegenüber den Strukturen der Macht ist.
    Außerhalb der Klostermauern drängt die einsame Entscheidung unseren
Mann zu einem Spaziergang; er ist ganz in Gedanken versunken. Soll er absolutes
Stillschweigen bewahren, blinden Gehorsam üben, unter allen Umständen, auch
angesichts von Unrecht und Amtsmissbrauch? Darf er das Vertrauen, das ihm seit
geraumer Zeit von sämtlichen Kurienmitgliedern entgegengebracht wird,
angefangen beim Papst über den Staatssekretär bis hin zu den wichtigsten
Kardinälen, derart enttäuschen? Soll er die Lüge, das Verschweigen und die
Fehlinformationen, mit denen die Machenschaften, Intrigen und Geheimnisse im
Vatikan verschleiert werden, weiterhin decken? Oder soll er das Schweigen
brechen?
    Dass Sie heute dieses Buch lesen, bedeutet, dass der Mann, der an
jenem Nachmittag außerhalb der Klostermauern blieb, seinen Weg zu Ende gegangen
ist. Zweifel und Ängste überwindend, kam er zu der Überzeugung, »gut und recht«
zu handeln. Zufrieden warf er einen letzten Blick über die Mauern der Casa di
Procura, um dann entschiedener als zuvor voranzuschreiten. Er hat sich
entschlossen, der Welt davon zu berichten, was im Vatikan vor sich geht.
    »In gewissen Momenten des Lebens«, so erklärte er mir wenige Tage
später, »ist man entweder ein Mann, oder man ist es eben nicht. Der
Unterschied? Es ist nur eine Frage des Mutes, die Dinge, die man weiß und für
richtig hält, auch auszusprechen und zu tun. Mein Mut besteht darin, die
delikatesten Angelegenheiten der Kirche publik zu machen. Gewisse Geheimnisse
der Öffentlichkeit zu enthüllen, kleine und große Geschichten, die das
Bronzeportal gewöhnlich nicht passieren. Nur so fühle ich mich frei – befreit
von dem unerträglichen Gefühl der Komplizenschaft mit all jenen, die schweigen,
obwohl sie Bescheid wissen.«
    Kurze Zeit später kommt der Mann nochmals zu einem der sicheren
Treffpunkte, die wir für die Übergabe von Akten, USB-Sticks oder anderen
Datenträgern ausgesucht haben. Es ist die letzte Übergabe. Mit ihr findet die
freiwillige Mission, die im April 2005, am Rande der Begräbnisfeierlichkeiten für
Johannes Paul II., eher zufällig begann, ihren
Abschluss. In den ersten Jahren war das geheime Archiv, das auf diese Weise
entstand, noch völlig unstrukturiert. Der Mann sammelte alle
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