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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht
Autoren: Brigitte Aubert
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annehmen, weil du keine andere Wahl hast!«
    Beunruhigt sieht er mich an.
    »Was wirst du tun?«
    »Sag mir nur eines: Wenn ich das Beil weglege und versuchen würde zu gehen, was würdest du dann tun?«
    »Ich würde dich töten«, antwortet er einfach. »Egal, wohin du auch gehst und was du auch machst, ich werde dich in jedem Fall töten.«
    »Du siehst, was diesen Punkt angeht, sind wir einer Meinung . Ich möchte sterben, und du, du möchtest mich umbringen. Hören wir also auf, uns gegenseitig auf den Wecker zu gehen, und fangen wir an!«
    Ich reiche ihm das Hackbeil. Zögernd nimmt er es, hebt es hoch und lässt es wieder sinken.
    »Na los, worauf wartest du?«
    »Ich möchte dich nicht damit töten«, sagt er und wirft das Beil zur Seite.
    Ich fange es auf und sehe dabei unser Spiegelbild im Fenster. Er groß und muskulös, mit seiner blutbefleckten Schürze, ich im schwarzen Abendkleid, sehr festlich. Ein eher kitschiges Paar: der Metzger und die Comtesse. Während ich rede, betrachte ich noch immer unser Spiegelbild.
    »Warum willst du mich nicht damit umbringen? Weil du es dir für deine kleinen nächtlichen Ritualmorde aufhebst? Und was hast du für mich vorgesehen? Den Baseballschläger? Oder ein einfaches Küchenmesser?«
    »Sei still.«
    »Weißt du, was mir soeben aufgegangen ist, Johnny? Allmählich begreife ich, dass ihr, die sexuellen Triebtäter, die sagenumwobenen Serienmörder, nicht freier seid als eine Ameise. Du hast nicht mehr Freiheit, Johnny, als jeder andere Durchschnittstyp auch. Du bist nur ein kleines Insekt.«
    »Sei still.«
    Das glühend heiße Fieber reißt mich mit sich wie ein tosender Gebirgsbach.
    »Ich weiß nicht, warum ich dich liebe, aber es ist nun mal so. Wenn du also nicht in der Lage bist, mich zu nehmen, dann werde ich mich dir eben schenken. Stück für Stück.«
    Er sieht mich entsetzt an. Ich lege meinen eingegipsten Arm auf den Tisch. Meine Finger sind geschwollen und veilchenfarben. Ich fühle mich leicht, ganz leicht, als wenn ich vollkommen betrunken wäre. Bin ich jetzt auch verrückt geworden? Nichts ist mehr von Bedeutung. Berauscht von meinen eigenen Worten bin ich nun bereit, ihnen Taten folgen zu lassen, ohne zu begreifen, ob das wichtig ist oder nicht. Ich spiele ein Spiel, das der Große Drehbuchautor nach und nach in mir hat entstehen lassen.
    Ich hebe das Beil. Johnny öffnet den Mund. Seine schönen Lippen zittern.
    »Als erstes werde ich dir meinen Zeigefinger schenken. Und dann die anderen Finger, anschließend meine Füße, meine Beine, meinen Arm . Ich werde an deiner Stelle die Arbeit tun, Liebling.«
    »Hör auf damit, Bo. Hör damit sofort auf.«
    Ich habe keine Lust mehr, ihm zu gehorchen. Ich habe keine Lust mehr, überhaupt irgendjemandem zu gehorchen. Ich stoße einen Schrei aus und lasse das Beil heruntersausen.
    Zunächst spüre ich nichts. Ich sehe meinen von der Hand abgetrennten Finger auf dem Tisch liegen. Ich sehe Blut aus meiner blau angelaufenen Hand spritzen. Ich sehe Johnnys offenen Mund und seine Augen. Und dann plötzlich … durchschießt mich der Schmerz raketenartig, ich zittere, ich werde explodieren . Stabilisierung. Mit zusammengebissenen Zähnen gelingt es mir, weiter zu sprechen:
    »Und jetzt, was würde dir nun Freude machen, mein Liebling?«
    Fauchend wie ein Raubtier stürzt er sich auf mich, seine Hand zum Schlag geballt. Nein! Ich reiße schützend beide Arme vor das Gesicht, er prallt mit einem dumpfen Geräusch gegen mich, er erstarrt, reißt die Augen weit auf, ich verstehe nicht, er weicht zurück, einen Schritt, zwei …
    Sein weißes Hemd färbt sich leuchtend rot, eine Linie verläuft von seiner linken Brusthälfte zu seiner Leber. Ich sehe auf meine rechte Hand hinab. Auf das Beil, das ich in meiner rechten Hand halte. Oh, nein! Ich lasse es los. Es fällt lautlos auf den Teppich. Kein einziges Geräusch ist in dem Zimmer zu hören, in dem Johnny herumtaumelt. Ich gehe auf ihn zu, er weicht zurück. Er presst seine Hand an die Brust, sieht auf das Beil, sieht mich an, sieht auf seine behandschuhte Hand, die voller Blut ist. Wie ein Stummfilm in Zeitlupe. Seine Knie geben nach. Er fällt.
    Ich presse die verletzte Hand gegen meinen Brustkorb. Ich spüre, wie mein Blut an mir hinabläuft. Ich sehe, wie seines den weißen Stoff des ordentlich gebügelten Hemdes durchtränkt. Plötzlich laufen die Bilder wieder mit normaler Geschwindigkeit, ich kann mich wieder bewegen, ich stürze zum Telefon.
    »Bleib ruhig
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