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Seidig wie der Tod

Seidig wie der Tod

Titel: Seidig wie der Tod
Autoren: J Ross
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geistesabwesend zu, während sie einen roten Kaschmirpullover und graue Wollhosen aus dem Schrank nahm.
    Sie hatte sich schon oft gefragt, wie LaDonna, Adrians Frau, es ertrug, Nacht für Nacht neben einem Gerät zu schlafen, das unablässig schlechte Nachrichten von sich gab. Vielleicht erklärte das zum Teil, warum die beiden früheren Mrs Beauviers Adrian schon nach so kurzer Zeit verlassen hatten.
    Trotz allem jedoch musste Desiree sich eingestehen, dass Adrians fanatisches Interesse für die Nachrichten sehr viel zum Erfolg des Senders beigetragen hatte. Und natürlich auch zu ihrer eigenen Karriere, denn durch Adrians frühe Informationen hatte sie in ihren fünf Jahren beim WSLU mehrere große Storys herausgebracht. Keine von ihnen hatte jedoch auch nur annähernd die Möglichkeiten geboten wie diese Letzte neue.
    „Ich bin schon auf dem Weg“, versprach sie.
    „Ich sage Sugar, dass er dort auf dich warten soll.“
    Sugar war ein dreihundert Pfund schwerer afroamerikanischer Kameramann, der nach einer kurzen Laufbahn als professioneller Ringer zum Fernsehen übergewechselt war. Niemand im Sender wusste, warum er sich ausgerechnet „Sugar“ nannte, doch soweit Desiree bekannt war, wagte auch niemand, ihn danach zu fragen. Er war, milde ausgedrückt, nicht sehr gesprächig, und sobald eine Unterhaltung persönlicher wurde, brachte sein berühmter kalter Blick sogar den wortgewandtesten Moderator dazu, ein Stottern zu entwickeln.
    St. Louis Cemetery war hell erleuchtet. Desiree hielt hinter den Streifenwagen der Polizei, die mit rotierendem Blaulicht vor den Toren des Friedhofs parkten. Hinter ihnen stand ein rot-weißer Krankenwagen.
    Normalerweise wäre der Friedhof um diese Zeit verlassen gewesen, abgesehen von einigen wenigen tapferen Seelen vielleicht, die sich hineinwagten, um am Grab der Marie Laveau, New Orleans’ Voodookönigin des neunzehnten Jahrhunderts, eine Bitte auszusprechen.
    Heute Nacht jedoch drängten sich Schaulustige auf den unebenen Wegen des alten Friedhofs. Desiree zeigte den Beamten ihren Presseausweis und glitt unter dem gelben Absperrband hindurch.
    „Wurde auch langsam Zeit“, knurrte Sugar. „Aber typisch. Der arme, alte Sugar muss die ganze Arbeit tun, und dann erscheint das junge Talent gerade rechtzeitig für seinen großen Auftritt!“
    Desirees erste Reaktion war Ärger, doch dann beschränkte sie sich auf ein Schulterzucken. „Verdammt kalt heute Nacht“, sagte sie, ihre Hände reibend.
    „Ich glaube nicht, dass dir so kalt ist wie dem armen Ding dort drüben“, entgegnete er und deutete mit seinem glatt rasierten Schädel auf die Reihen weißer Marmorgrabsteine.
    Die Polizei hatte so viele Scheinwerfer aufgestellt, dass der Schauplatz des Verbrechens erleuchtet war wie Canal Street während einer Mardi Gras-Parade.
    „Fang an zu filmen“, wies Desiree Sugar an, als sie ein vertrautes Gesicht entdeckte. „Und hör nicht eher auf, bis ich es sage.“
    „Selbstverständlich, Ma’am“, entgegnete er gedehnt.
    Ohne seinen Sarkasmus zu beachten, ging sie durch die Gräberreihen zu dem Mann, der hier die Aufsicht führte. Chief Detective Michael Patrick O’Malley stand hinter drei Sanitätern, die sich über eine junge Frau beugten, die regungslos am Boden lag. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
    „O’Malley scheint nicht sehr erfreut zu sein, uns hier zu sehen“, bemerkte Sugar mit dem ihm eigenen Talent zur Untertreibung.
    „Dreh weiter.“ Während sie sich gegen O’Malleys eisigen Blick stählte, bemühte Desiree sich, nicht an jene, gar nicht so weit zurückliegende Zeit zu denken, in der der Kriminalbeamte sie auf ganz andere Weise angesehen hatte. „Aber keine Aufnahmen vom Gesicht des Opfers!“
    O’Malleys erste Worte waren nicht zuvorkommender als sein Blick. „Schläft Beauvier denn nie?“
    „Keine Ahnung. Das wirst du LaDonna fragen müssen“, entgegnete Desiree.
    „Der Kerl ist wie ein Vampir. Die ganze Nacht lang auf den Beinen. Aber ich frage mich, wieso du nicht zu Hause im Bett bist, Desiree?“
    Den grimmigen Umständen zum Trotz wurde seine Stimme weicher bei der Erwähnung ihres Bettes, das er vor drei Monaten noch gern und häufig aufgesucht hatte, bis seine Abneigung gegen die mitternächtlichen Anrufe ihres Produzenten und seine Reibereien mit Desiree ihre Romanze beendet hatten.
    „Ich bin Kriminalreporterin“, erinnerte sie ihn wie schon so oft in der Vergangenheit. Im Gegensatz zu jenen anderen Gelegenheiten
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