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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Winter
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strafst du mich so? Was habe ich getan? Nicht Ruppert. Nicht auch noch Ruppert.«
    Dann warf sie sich in die Kissen und weinte haltlos. Ihre Schultern bebten, der ganze Körper zitterte wie im hohen Fieber. Plötzlich entriss sich ein Schrei ihrer Kehle, der Kopf sank hinab, die Augen fielen zu.
    »Cäcilie!« Wolfgang sprang auf und rüttelte seine Frau, die wie ein Sack Wäsche hin und her fiel. »Ilme! Schnell!«
    Die Haushälterin schien hinter der Tür gestanden zu haben. Sie holte aus ihrer Kittelschürze ein Riechfläschchen und hielt es Cäcilie von Zehlendorf unter die Nase.
    »Das war alles zu viel für sie«, murmelte die ältere Frau. »Mein Jott, was für ein Unjlück!«
    Als Cäcilie sich leise regte, sagte Ilme zu ihrem Herrn: »Sie braucht Ruhe. Nichts darf sie aufrejen. Das hat schon der Arzt jesacht. Sie hat doch so eine zarte Jesundheet.«
    Wolfgang nickte. Vorsichtig setzte er sich auf den Rand der Récamiere und nahm seine Frau in die Arme. »Alles wird gut, mein Liebling. Alles wird gut.«
    Sie sah ihn an, und Wolfgang erschrak über den Schmerz in ihren Augen. In diesen Augenblick begriff er, dass er alles nach ihrem Willen tun musste, um sie nicht zu verlieren. Sie würde sterben. Einfach die Augen schließen und sterben, wenn er ihr noch größeren Schmerz zumutete. Einmal schon hatte er sie so gesehen. Damals, als der Junge zur Welt gekommen war. Beinahe wäre sie an ihm gestorben. Sie hatte so viel Blut verloren. Der Arzt hatte betroffen den Kopf geschüttelt und Wolfgang eine Hand auf die Schulter gelegt. »Es ist Zeit, Abschied von ihr zu nehmen«, hatte er gesagt, und Wolfgang war es, als würde Gott eigenhändig sein Herz zerreißen. Doch dann hatte Ilme der Todkranken den Jungen gezeigt, hatte ihre Hand auf den kleinen Kopf des Säuglings geführt und ihn gleich darauf an Cäcilies Brust gelegt. Und während Wolfgang gefürchtet hatte, der Junge würde mit der Milch auch den letzten Rest Lebenskraft aus Cäcilie heraussaugen, war genau das Gegenteil eingetreten. Der Junge hatte ihr die Kraft zum Weiterleben gegeben. Damals. Und heute? War es jetzt anders?
    Sanft strich er mit dem Zeigefinger über ihre Wange. »Es tut mir so leid«, flüsterte er und wusste dabei nicht, ob er Cäcilie, Malu oder sich selbst meinte. »Mein Liebling, es tut mir so unendlich leid.« Tränen stiegen in ihm auf; er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten. Er presste seine Frau an sich, ließ die Tränen in ihr Haar rollen, während der Schmerz in seiner Brust ihn in Stücke riss.
    »Ruppert?«, flüsterte Cäcilie nach einer Weile mit blasser Stimme. »Was ist mit Ruppert?«
    »Nichts ist mit ihm, mein Herz. Gar nichts. Es war so, wie du meinst. Malu hat die Tante getötet. Es war ein Unfall. Und Ruppert konnte nichts dagegen tun.«

Drittes Kapitel
    Gut Zehlendorf (Lettland), 1895
    S eit dem Tod der Tante vor knapp einem Jahr kränkelte Cäcilie von Zehlendorf. Matt lag sie in einem Liegestuhl unter dem Apfelbaum, das Gesicht so bleich wie der Leinenstoff. Bei der kleinsten Bewegung geriet sie in Atemnot, der Kopf schmerzte beinahe ständig. Auch mit ihrer Verdauung stand es nicht zum Besten. Doch am schlimmsten war ihre Nervosität. Beim kleinsten Geräusch zuckte Cäcilie zusammen. Lärm war ihr ein Gräuel, plötzliche Bewegungen verursachten eine Krisis. Sie litt an einer schweren Chlorosis, auch Bleichsucht genannt.
    Dr. Matthus kam beinahe jeden Tag. Er hatte erklärt, dass es Cäcilie an roten Blutkörperchen mangelte. Um dies zu beheben, hatte er zu einer Diät aus Roter Bete und roten Früchten geraten. Außerdem verschrieb er ihr immer wieder Laudanum und viel Ruhe, doch nichts half. Selbst ein Kuraufenthalt an der Küste bei Jūrmala hatte keinen Erfolg gebracht. Selten konnte sich Cäcilie noch zu irgendeiner Tätigkeit aufraffen, selbst das Blättern in der Rigaschen Hausfrauenzeitung war ihr meist zu schwer. Nur für Ruppert nahm sie sich nach der Mittagsruhe stets ein halbes Stündchen Zeit. Dann fragte sie ihn nach den Fortschritten beim Lernen, lachte über seine Abenteuer und streichelte dem Jungen über Rücken und Haar.
    Für Malu hatte sie keinen Blick übrig, kein Wort, keine Berührung. Fremden konnte es scheinen, als gehöre das Kind einer der Mägde oder gar Ilme, der Hofmutter, obwohl diese längst zu alt für ein so kleines Mädchen war. Sah die Herrin nicht hin, schaukelte Ilme die Kleine auf dem Schoß. Ruhte Cäcilie von Zehlendorf in ihren Gemächern, wühlte Malu mit der
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