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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Winter
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leere Schnapsglas entgegen. Wolfgang zog die Augenbrauen hoch, dennoch schenkte er ihr nach. »Na, wir woll’n mal nicht übermütig werden, Ilme. Du trinkst doch sonst nichts.«
    »Am besten, Sie jießen sich auch noch einen ein, Herr«, murmelte Ilme. »Sie werden’s brauchen können.«
    »So, jetzt aber raus mit der Sprache!«
    Cäcilie von Zehlendorf schluchzte auf.
    »Die Malu, die Kleine, sie war’s«, nuschelte Ilme.
    »Was war Malu?«
    »Sie … sie hat unsere gnädige Freifrau Camilla umgebracht.«
    »Was?« Wolfgang von Zehlendorf brach in Gelächter aus. »Was ist denn das für ein Unsinn? Malu ist vier Jahre alt!«
    Cäcilie richtete sich ein wenig auf. »Camilla … Sie wollte ausfahren. Gerade war sie im Begriff, die Kutsche zu besteigen. Das Kind hat mit einem Katapult auf die Pferde geschossen. Die gingen durch, Camilla stürzte, und nun ist sie tot.« Ihre letzten Worte gingen in Schluchzen unter.
    Wolfgang von Zehlendorf ließ sich in einen Lehnstuhl fallen. »Was?«, fragte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie bitte?«
    »Ja! So war es! Du kannst es ruhig glauben, mein Lieber. Deine Tochter ist eine Mörderin. Noch so klein und doch schon so böse. Oh, Herr im Himmel, warum hast du mich einen solchen Satan zur Welt bringen lassen? Warum strafst du mich so? Hättest du sie nicht in meinem Leib sterben lassen können?« Cäcilie fiel zurück auf das Sofa und schluchzte haltlos.
    Wolfgang schüttelte noch immer den Kopf. »Warum?«, fragte er. »Wie ist Malu auf den Gedanken gekommen, mit einem Katapult zu schießen?«
    »Der Teufel steckt in dem Kind, der hat’s ihr eingegeben.« Cäcilies Stimme war nur noch ein leiser Hauch.
    »Unsinn!« Wolfgang von Zehlendorf sprang auf. »Ein Kind ist ein Kind und kein Teufel. Kinder sind niemals von Grund auf böse, und Malu am allerwenigsten.« Seine Stimme klang barsch. Er zeigte mit dem Finger auf Cäcilie. »Ich möchte nicht, dass du so über unsere Tochter redest. Hast du gehört?« Selten hatte er mit seiner Frau in diesem Ton gesprochen.
    Er betrachtete sie mit einem unwilligen Blick, dann eilte er aus dem Salon. Mit energischen Schritten stieg er die geschwungene Doppeltreppe hinauf in den ersten Stock, in dem die Schlafzimmer lagen. Vor Malus Zimmer hielt er inne. Sie wird schon schlafen, dachte er. Ich sollte bis morgen warten. Doch dann überlegte er es sich anders und drückte die Klinke herunter.
    Das Kindermädchen fuhr mit einem Schrei hoch, als er die Petroleumlampe entzündete.
    »Herr, was ist?«, fragte sie verschlafen und sah nach Malu, die wie ein Engel in ihrem Bett lag, den Daumen der rechten Hand im Mund.
    »Warst du dabei, als es passiert ist?«, fragte Wolfgang von Zehlendorf barsch. Die Kinderwärterin Marenka, ein Mädchen aus dem Dorf, setzte sich auf und presste die Zudecke fest an die Brust. Ihr langes Haar, das sie gewöhnlich zu einem geflochtenen Kranz um den Kopf trug, fiel ihr lose über die Schultern, ihre Wange war leicht geschwollen. »Ich war in der Küche … habe für den jungen Herrn eine heiße Schokolade geholt.« Sie begann zu weinen. »Hätte ich gewusst, was passieren würde, dann wäre ich geblieben.« Sie schüttelte den Kopf. »Der junge Herr, er hatte den Katapult. Ich wollte ihn wegnehmen, aber der junge Herr sagte, er gibt ihn mir erst, wenn ich ihm eine Schokolade hole.«
    »Ruppert hatte das Ding?«
    »Ja. Und ich hab ihm noch gesagt, dass er es auf gar keinen Fall der Kleinen geben soll.«
    »Was hast du gesehen, als du zurückgekommen bist?«
    Marenka wischte sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase. »Mausetot. Den Kopf im Nacken, die Augen starr geradeaus, der Mund eine Handbreit offen – so lag sie auf dem Boden, die gute Freiherrin. Die Kutsche war umgekippt. Ein Pferd hatte sich losgerissen und rannte wie wild über das Gelände, das andere wieherte laut und schleifte die Kutsche hinter sich her.«
    »Und die Kinder?«
    »Malu hatte den Daumen im Mund und lutschte daran, so wie sie es immer tut, wenn etwas sie ängstigt.«
    »Und Ruppert?«
    »Ich weiß es nicht mehr, gnädiger Herr.« Marenka heulte auf. »Es ging alles so schnell. Ich weiß es einfach nicht mehr. Er muss wohl neben ihr gestanden haben.«
    Wolfgang von Zehlendorf blickte zu seiner Tochter, die im Schlaf ein Brummen von sich gab. Sie ist noch so klein, dachte er. Wie kann ein so kleines Kind mit einem Katapult so fest schießen, dass die Pferde durchgehen? Ein Kind mit geballten Fäustchen, die nicht größer
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