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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Winter
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zu, und dann rufe mich.«
    Malu bekam vor Aufregung glühende Wangen. »Darf ich wirklich?«, fragte sie und hüpfte von einem Bein auf das andere.
    »Wenn du mit der Schere gut achtgibst. Und stich dich bloß nicht an den Nadeln.« Nina strich ihr noch einmal über den Kopf. »Wenn etwas ist, dann ruf einfach nach mir. Aber ruf laut, denn es kann sein, dass ich auf dem Dachboden bin.«
    Schon wühlte Malu in der Stoffkiste. Sie fand ein altes Tuch, das ihre Mutter früher einmal an kalten Abenden über den Schultern getragen hatte. Es war rot, und auf den Stoff waren winzige gelbe Blumen gestickt.
    Malu hockte sich auf den Boden, die Schneiderkreide in der einen, die Schere in der anderen Hand. Sie breitete das Tuch sorgsam vor sich aus, legte den Papierschnitt darüber und trennte den Stoff vorsichtig durch. Die Kleine arbeitete so konzentriert, dass ihre Zunge immer wieder zwischen die Zähne rutschte. Sie war gerade fertig, als Nina nach ihr sah.
    »Na, wie sieht es aus. Kommst du voran?«
    »Hier! Sieh nur, ich bin fertig.«
    Nina begutachtete die Stücke. »Das hast du prima gemacht. Fast wie eine richtige Schneiderin. Als Wäschemagd könntest du dich jetzt schon verdingen.« Sie lachte. »Willst du die Stücke zusammenheften? Nimm weißen Faden dafür, und mach die Stiche ruhig größer. Dann zeig mir, wie das Kleid geworden ist. Danach können wir es auf der Maschine nähen.«
    Kaum zwei Stunden später war Malu mit dem Heften fertig. Mit dem Kleid in der Hand stieg sie hinauf zum Dachboden. Ilme lüftete gerade die Pelze ihrer Herrin, und Nina kontrollierte die Winterkleider auf Mottenlöcher.
    »Was hast du denn da?«, fragte Ilme.
    Malu strahlte. »Das Kleid, es ist fertig. Es muss nur noch genäht werden.«
    Ilme betrachtete die Arbeit, zeigte Malu eine Stelle, an der sie nicht sorgfältig geheftet hatte, und lobte sie dann überschwänglich.
    Aber Malu war damit nicht zufrieden. »Es muss jetzt genäht werden, das Kleid. Die Puppe kann nicht länger warten. Sie erfriert sonst.«
    Nina seufzte und wollte zu einer weiteren Erklärung ansetzen, doch Ilme unterbrach sie: »Es ist schon gut, Nina. Näh mit Malu das Kleid fertig. Ich schaffe das hier oben auch alleine. Und morgen ist auch noch ein Tag.«
    Malu jubelte, packte Nina bei der Hand und zog sie die Treppen hinunter in die Nähstube.
    »Willst du es einmal allein probieren?«, fragte Nina und nahm die Haube von der Nähmaschine. »Es ist nicht schwer. Ich trete unten, und du musst nur das Rad an der rechten Seite drehen und zusehen, dass die Nadel genau auf die Heftlinie trifft.«
    Malu nickte nur, vor Aufregung brachte sie kein Wort heraus. Sie setzte sich auf den Nähstuhl und bedauerte sehr, dass ihre Beine noch nicht bis hinunter zu der Metallplatte reichten, um die Maschine anzutreiben. Aber da hatte Nina schon den Faden in die Nadel gesteckt und forderte Malu auf, das Rad zu drehen. Malu war mit solchem Eifer bei der Sache, dass ihre Wangen sich rot färbten und die Zunge immer wieder zwischen den Zähnen hervorlugte. Viel zu schnell für ihre Begriffe war das Kleid fertig. Als Nina die Nähmaschine unter der Haube verbarg, war Malu beinahe traurig darüber.
    Aber Nina nahm sie in die Arme. »Herzlichen Glückwunsch zum ersten Kleid. Das hast du wirklich gut gemacht. Wenn du magst, können wir ja in der nächsten Woche gemeinsam ein paar neue Kissen für dein Zimmer nähen.«
    »Danke, Nina!« Die Kleine umarmte die Wäschemagd, dann holte sie sich ihre Jacke und rannte hinaus bis zum Zaun, der das Gut vom Pfarrhof trennte. Eine Weile stand sie da und beobachtete das blonde Pfarrersmädchen, das wieder mit seiner Puppe allein spielte. Schließlich nahm Malu ihren ganzen Mut zusammen. »Ich habe ein Kleid für deine Puppe genäht!«, rief sie über den Zaun. »Willst du mal sehen?«
    Das Mädchen sah auf. Zögernd kam es näher, blieb stehen und zog an seinen Zöpfen.
    »Komm doch!«, rief Malu. »Oder hast du etwa Angst vor mir?«
    Das Mädchen schüttelte zaghaft den Kopf, trat dann an den Zaun und reichte Malu die Hand. »Ich heiße Constanze«, sagte es leise. »Und wie heißt du?«
    Von Stund an spielten die beiden Mädchen jeden Tag zusammen. Meist bestimmte Malu das Spiel, und die ruhigere Constanze tat, was sie ihr sagte. Aber manchmal saßen die beiden Mädchen auch nur still zusammen oder wühlten gemeinsam in den Stoffkisten des Gutes.
    Constanze hatte einen zwei Jahre älteren Bruder namens Johann. Als Malu ihn zum ersten Mal sah,
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