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Seelenzorn

Seelenzorn

Titel: Seelenzorn
Autoren: Stacia Kane
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ihm von dem Psychopomp erzählt? Wenn dieser Bastard ... Nein. Das war nur blöde Paranoia. Oliver hatte ihm ganz bestimmt nichts verraten. Wann denn auch? Soweit sie wusste, hatten die beiden Männer sich seit jener Nacht nur einmal unterhalten - seit der Nacht, in der sie den Psychopomp getötet hatte, der Nacht, in der Terrible ...
    Der Atem rasselte in ihrer Brust. Ach ja, richtig. Hier und jetzt waren solche Gedanken wirklich fehl am Platz. Hier fand eine Hinrichtung statt, sie musste eine Zeugenaussage machen, und deshalb hieß es jetzt verflucht noch mal Ruhe bewahren und die Aussage zu Protokoll geben.
    Also setzte sie sich auf den harten Holzstuhl mit der geraden Rückenlehne, sog den penetranten Desinfektionsmittelgestank ein und sah zu, wie sich die anderen im Gänsemarsch in den Raum schoben. Da war der Älteste Murray, dessen geschminkte Augenringe auf der tiefdunklen Haut beinahe verschwanden, obwohl sie so schwarz wie sein Haar waren. Dann kam Dana Wright, die andere Debunkerin, die an der Razzia im Keller von Madame Lupita teilgenommen hatte.
    Für Lupita selbst war niemand gekommen. Jeder, dem vielleicht etwas an ihr lag oder der in den letzten Minuten ihrer sterblichen Existenz gerne bei ihr gewesen wäre, war entweder bereits selbst hingerichtet worden oder schmorte in einer Gefängniszelle.
    Als Letzter - bevor die Verurteilte selbst eintraf - kam der Henker, das Gesicht von einer schweren schwarzen Kapuze verhüllt. In der ausgestreckten Rechten trug er einen Hundeschädel - seinen Psychopomp, der schon bald Madame Lupita ins Geistergefängnis tragen würde. In der linken Hand hielt er eine Kette und am Ende der Kette ging Madame Lupita, der die Handgelenke in Eisen gelegt waren.
    Mit dumpfem Krachen fiel die Tür hinter ihnen zu, und das Schloss klickte; es würde sich erst in einer halben Stunde wieder öffnen. Zeit genug für die Hinrichtung und den Abtransport der Seele in die Stadt der Ewigkeit. Diese Zeitschlösser hatte man in der Gründungszeit der Kirche eingeführt, nachdem eine Verkettung unglücklicher Umstände dazu geführt hatte, dass ein Geist die Tür geöffnet hatte und entkommen war. Wie alles, was die Kirche tat, hatten auch die Zeitschlösser ihren Sinn, dennoch konnte Chess einen leichten Anflug von Panik nicht unterdrücken. Sie war eingesperrt. Das konnte sie grundsätzlich nicht leiden.
    Der Henker befestigte sein Ende der Kette an der Guillotine und machte sich daran, den Schädel am Sockel des fest installierten Altars aufzustellen. Rauch quoll aus seiner Räucherschale und überdeckte den Gestank von Bleichmittel und Ammoniak; der starke, beißende Rauch von Melidia, um Lupitas Seele ins Geistergefängnis zu schicken, gemahlenem Ingwer, Teufelskraut und Eibenspänen, der Chess in der Nase juckte. Die Energie im Raum änderte sich; magische Kraft schlängelte sich an ihren Beinen hinauf, sorgte dafür, dass sich ihre Nackenhaare aufrichteten, und gab ihr diesen ganz speziellen kleinen Kick, der sie immer zum Lächeln brachte.
    Doch das verkniff sie sich. Nicht heute. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und sah sich die Verurteilte an.
    Seit ihrer letzten Begegnung in jenem Keller, in dem es nach Angst, verbrannten Kräutern und Gift gestunken hatte, hatte sich Lupita sehr verändert. Ihr massiger Körper schient geschrumpft zu sein. Statt des lächerlichen Turbans, an den Chess sich erinnerte, trug sie nur noch ihr eigenes kurz geschorenes Haar, und anstelle des albernen Zirkuskaftans verhüllte nun die schlichte schwarze Robe der Todeskandidaten ihren dicken Leib.
    Aber ihre Augen waren noch dieselben. Sie schweiften über die kleine Versammlung, blieben an Chess hängen und starrten sie finster an. In ihnen brannte ein so glühender Hass, dass Chess meinte, er versenge ihr die Haut.
    Sie zwang sich, dem Blick standzuhalten. Diese Frau hatte sie beinahe umgebracht, mit einem vergifteten Tee; sie hatte beinahe einen ganzen Keller voller unschuldiger Menschen getötet, indem sie einen blutrünstigen, tobenden Geist beschwor. Scheiß auf sie. Heute würde sie sterben, und Chess würde zusehen.
    Etwas huschte durch die Tiefen von Lupitas Augen.
    Chess stockte der Atem. Hatte sie das gerade wirklich gesehen? Dieses silbrige Aufblitzen? Das Aufleuchten, das verriet, dass Lupita einen Geist in ihrem Körper beherbergte?
    Sie riss die Augen auf und musterte Lupita scharf, während sie abwartete. Eigentlich war das unmöglich. Lupita hatte bei ihrer Festnahme keinen Geist
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