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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod
Autoren: Ann Cleeves
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kostenloses Unterhaltungsprogramm; sie hatten es nicht eilig, nach Hause zu gehen. Taylor sprach mit der Frau am Empfang.
    «Geben Sie mir bitte den Generalschlüssel für die Schließfächer, meine Liebe?»
    Er redete mit ihr wie mit einem Kind. Wenn Taylor sich ihr gegenüber so herablassend verhalten würde, dachte Vera, würde sie ihm gleich eine schmieren. Die Frau am Empfang war älter als er, vermutlich schon weit über vierzig, kämpfte aber dagegen an. Schwarze Haare und dickes Mascara. Auf dem Schild, das ihr um den Hals baumelte, stand der Name Karen.
    «Die Aushilfe fürs Putzen, ist das Ihr Sohn?», fragte Vera.
    Karen hatte sich umgedreht, um einen Schlüssel von einem Haken an der Wand zu nehmen. «Warum? Was hat er mit dem Ganzen hier zu schaffen?»
    «Wahrscheinlich nichts. Aber ich würde gern mit ihm sprechen. Hat er heute Dienst?»
    Karen legte den Schlüssel auf den Tresen. «Er hat Spätschicht. Vor vier Uhr wird er nicht da sein.»
    «Nur keine Eile», sagte Vera leichthin. «Ich rede dann später mit ihm.»
    Eine Polizistin in Uniform bewachte die Tür zu den Umkleiden, und jetzt schickte Vera Taylor weg. «Ich möchte Ihre Zeit wirklich nicht noch länger in Anspruch nehmen. Wir kommen schon allein zurecht.» Erst dachte sie, er wollte einen Streit mit ihr anfangen, aber er fing sich gerade noch rechtzeitig und lächelte stattdessen. Sie sah, wie sich das Licht in den blankpolierten Absätzen seiner Schuhe spiegelte, als er die Treppe hinauf verschwand.
    Vera kannte die Polizistin, die die Tür bewachte, konnte sich aber nicht an ihren Namen erinnern. «Ist noch jemand da drinnen?»
    «Nein.»
    «Hat Billy Wainwright schon einen Blick hineingeworfen?»
    «Ja, und das hat ihm irre viel weitergeholfen, sagt er.» Die Frau lächelte verträumt, und Vera fragte sich, was dieser Mann nur an sich hatte. Er sah nicht mal besonders gut aus. Sie vermutete, dass er ein guter Zuhörer war. Vielleicht machte ihn das ja so anziehend.
    «Ich war schon in den Umkleiden», sagte Vera. «Es ist also kein Problem für die Spurensicherung, wenn Sie mich reinlassen.»
    Die Polizistin zuckte die Achseln. Vera war die Chefin, und davon abgesehen, war das ja nicht ihr Problem.
    Oben an der Wand des Umkleideraums lief noch der Fernseher. Sky News zeigten Bilder des amerikanischen Präsidenten und seiner Frau, die irgendein fremdes Land besuchten. Man sah afrikanische Kinder in gestärkten weißen Hemden und Frauen, die in grellbunte Batiktücher gehüllt waren. Das Schließfach der Toten lag in der Nähe desjenigen, das Vera an diesem Tag benutzt hatte. Sie zog sich ein frisches Paar Handschuhe an. Das Schloss klemmte, und einen Augenblick lang fragte sie sich, ob sie es überhaupt aufkriegen würde, dann lehnte sie die Schulter gegen die Tür und drückte dagegen, bis der Mechanismus einschnappte. Die Tür schwang ihr entgegen.
    Vera schaute in das Schließfach, zunächst ohne etwas anzufassen. Die Anziehsachen waren säuberlich zusammengelegt. Ein geblümter Rock, eine weiße Bluse, fast ebenso frisch gebügelt wie die Hemden der Kinder in den Nachrichten, ein dunkelblauer Baumwollpulli. Weiße Spitzenunterwäsche, so duftig, als wäre sie eben erst gekauft worden. Wie machten diese Frauen das nur? Veras Unterwäsche war nach dem ersten Waschen schon grau. Und sie hätte sich auch nie etwas so Edles gekauft. Unter den Kleidern stand ein Paar Sandalen. Das weiche Leder sah bequem aus, aber sie waren auch schick, mit einem kleinen Absatz und geflochtenen Lederriemen, die am Knöchel zugebunden wurden. So etwas könnte Vera niemals tragen.
    Im Fernsehen las eine junge Frau mit rauchiger Stimme den Wetterbericht vor. In den kommenden Tagen sollte es für die Jahreszeit ungewöhnlich mild und sonnig werden. «Herrliches Frühlingswetter.» Vera drehte sich kurz um und sah Bilder von fetten Lämmern und Weidenkätzchen. Bei den Leuten, die den kleinen Hof neben ihrem Haus bewirtschafteten, hatten die Schafe noch nicht gelammt. In den Bergen hier oben im Norden kamen die Lämmer immer etwas später.
    Keine Handtasche. Das kam Vera komisch vor. Hatte nicht jede Frau eine Handtasche bei sich? Selbst Vera trug ihren Kram in einem Einkaufsbeutel aus Stoff mit sich herum. Aber ein Portemonnaie war da, es steckte in einem Ärmel des blauen Pullis. Hatte die Frau ihre Handtasche im Auto gelassen, weil sie nicht in das Schließfach passte? An einer Ecke des Portemonnaies war mit einem Metallclip ein Schlüsselbund festgemacht.
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