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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod
Autoren: Ann Cleeves
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verblichenen Glanz besessen. In der Ecke spielte eine Frau im Abendkleid auf einem Flügel. Hector bestellte mit lauter, angeberischer Stimme Champagner, und ihre Mutter trank zwei Gläser und wurde dann albern. Den Rest trank natürlich Hector.
    Ursprünglich war es ein großes Landhaus gewesen, und noch immer schlängelte sich die Auffahrt durch eine Parklandschaft. Das Haus lag an einer Flussbiegung, sodass man fast das Gefühl hatte, es stünde auf einer Insel, vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn der Tyne vom Schmelzwasser angeschwollen war. Gestutzte Weiden, deren Wurzeln jetzt im Wasser hingen, markierten die Grundstücksgrenze. Der örtlichen Geschichtsforschung zufolge hatte ein Archäologe, der einen Großteil der Pionierarbeit über den Hadrianswall geleistet hatte, dort gelebt. In der Bibliothek und der Lounge hingen verblasste, sepiafarbene Fotos von Ausgrabungen, mit Männern in Knickerbockern und Frauen in langen Röcken.
    Vor nicht allzu langer Zeit war das Hotel dann von einer kleinen Kette mit Hauptsitz im Süden übernommen worden. Das Souterrain hatte man zu einem Fitness-Club umgebaut, und jeden Hinweis darauf, dass hier nur die Reichen und Schönen verkehrten, getilgt. Immerhin hatte man Vera aufgenommen, das sagte doch alles! Aber das Hotel besaß immer noch einen gewissen Anspruch. Im Speisesaal mussten die Herren Anzug und Krawatte tragen. Die abgewetzten Möbel zeugten noch von der alten Vornehmheit.
    Im Fitness-Club lagen jetzt Aufregung und Chaos in der Luft, doch Vera fühlte sich ganz in ihrem Element und fröhlicher, als sie es seit Monaten gewesen war. Pfeif doch auf die ganze Schwimmerei – was sie brauchte, um sich wirklich lebendig zu fühlen, war ein interessanter Fall.
    Billy Wainwright, der Leiter der Spurensicherung, war gekommen, um den Tatort abzusichern. Im Dampfbad war jetzt kein Dampf mehr, doch auf allen Flächen stand Kondenswasser. «Ihnen ist schon klar, dass das hier wahrscheinlich der schwierigste Tatort ist, den ich je gesehen habe? Keine Chance auf Fingerabdrücke bei solchen Oberflächen. Halb Newcastle hätte hier durchmarschieren können, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.» Als wäre Vera daran irgendwie schuld.
    Billy Wainwright war in der Dienststelle für seine hübsche Frau und seine zahllosen Seitensprünge bekannt. Ein Genie in seinem Job, aber als Mensch ein echter Fiesling. Vera achtete darauf, ihm bei seiner Arbeit nicht im Weg zu stehen. Durch die offene Tür hatte sie jetzt einen besseren Blick auf die Tote. Sie sah aus wie ein typisches Mitglied des Fitness-Clubs im Willows. Gepflegt, in den Vierzigern, aber mit der Figur einer jüngeren Frau. Am Träger ihres Badeanzugs war der Schlüssel zu einem der Schließfächer befestigt.
    «Billy, was für eine Nummer steht auf dem Schlüssel?»
    Vorsichtig hob er ihn mit seinen fetten, behandschuhten Fingern an. «Fünfunddreißig.»
    Sie war davon ausgegangen, dass Taylor, der stellvertretende Geschäftsführer, sie allein lassen würde. Bestimmt hatte er Wichtigeres zu tun. Aber er stand immer noch am Beckenrand, seltsam deplatziert in seinem Anzug und den glänzenden schwarzen Schuhen. Er hielt sich wieder das Walkie-Talkie ans Ohr. Sie ging schnurstracks zu ihm hinüber und wartete ungeduldig darauf, dass er das Gespräch beendete.
    «Entschuldigen Sie», sagte er. «Ich versuche, ein paar Meetings umzulegen, um die Lounge für Ihre Zeugen freizuhalten. Wir haben gerade eine Konferenz von Personalchefs hier zu Gast.»
    «Sie haben doch bestimmt einen Generalschlüssel für die Schließfächer?»
    «Ja.»
    «Können Sie mir den bitte besorgen?» Warum war sie so kurz angebunden mit ihm? Schließlich war er sehr hilfsbereit gewesen. Vielleicht lag es ja daran, dass er sie einfach nicht allein lassen wollte. An dem Nervenkitzel, den es ihm offenbar bereitete, an den Ermittlungen teilzuhaben, und sei es nur als Beobachter. Dass ich aufgeregt bin, ist okay, dachte sie, ich habe dem Verbrechen schließlich mein Leben gewidmet. Aber er ist nur ein Voyeur.
    Jetzt ging er schließlich doch vom Pool weg und durch die Umkleiden zu dem Empfangstisch neben dem Drehkreuz. Von oben aus der Lounge war aufgeregtes Geplapper zu hören, das Klirren von Kaffeetassen. Ashworth hatte ein paar Polizeibeamte hinzugezogen, die ihm halfen, die Aussagen aufzunehmen, aber ganz offensichtlich ging es nur langsam voran. Wie Vera vermutet hatte, betrachteten die meisten der älteren Clubmitglieder das Ganze als eine Art
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