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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer
Autoren: G O'Carroll
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uns zurückfahren und noch ein bisschen Musik hören.«
    »Ich heiße Conor, kapiert? Mein Name ist Conor, nicht Colin!«
    In ihren Augen blitzte irgendetwas auf. Mittlerweile hatte sie beide Hände gegen meine Brust gestemmt, und ich spürte ihre plötzliche Nervosität. Ich deutete über ihren Kopf.
    »Schau doch mal zum Mond hinauf! Siehst du denn nicht, wie schön er ist?« Statt nach oben zu blicken, starrte sie mich an. Aus ihren Augen sprach Unsicherheit, vielleicht auch aufkeimende Angst.
    »Ich möchte zurück«, erklärte sie. »Meine Freundinnen warten auf mich. Sie fragen sich bestimmt schon, wo ich abgeblieben bin.«
    »Nein, das tun sie nicht. Ich habe doch gesehen, dass ihr euch gestritten habt.«
    Mittlerweile hielt ich sie fest an das Holztor gedrückt, während sie versuchte, mich wegzuschieben – erst mit den Händen, dann mit den Ellbogen.
    Aber ich wich keinen Millimeter zurück. Mit einer schnellen Bewegung drehte ich sie um und ließ sie mit dem Gesicht gegen das Tor krachen. Sie schrie auf. Ich hielt ihr den Mund zu und zerrte sie zu Boden. Sie hatte mittlerweile panische Angst. Ich merkte es an ihren schreckgeweiteten Augen und ihrem aufgerissenen Mund. An ihren Zähnen war Blut. Vergeblich versuchte sie zu schreien. Ich lag quer über ihr, doch irgendwie schaffte sie es, mich abzuschütteln. Ehe sie mir entwischen konnte, packte ich sie am Bein, zog sie zurück und schlug ihr ins Gesicht.
    Inzwischen weinte sie. Als sie erneut zu schreien versuchte, schob ich ihr meinen Handballen in den Mund. Nun hatte ich sie, wo ich sie haben wollte: ausgestreckt unter mir. Aber ich begehrte sie nicht mehr. Ich empfand keinerlei Verlangen. Was ich sehr wohl empfand, war Hass: Ich hasste sie wegen ihres Aussehens und wegen der Art, wie sie mich an der Nase herumgeführt hatte. Ich hasste sie, weil sie sich eine Zigarette angezündet und die Asche in meinem Auto fallen gelassen hatte.
    Quinn atmete an seinem Schreibtisch tief durch. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er die Luft angehalten hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er Maggs wieder auf der Anklagebank sitzen: dunkles Haar, dunkle Augen, die Schultern hochgezogen wie ein Kind. Quinn hatte seine Eigenarten genau studiert, jeden Gesichtsausdruck und jede Bewegung registriert. Er wusste noch genau, was ihm damals durch den Kopf gegangen war: Egal, was dieser Mann dem Gericht zu vermitteln versuchte, ein Teil von ihm genoss das Ganze. Er stand im Zentrum der Aufmerksamkeit und las mit so viel Nachdruck und Leidenschaft diese Zeilen vor, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren, einschließlich dem von Eva, die auf einem der Zuschauerplätze saß und die Kette um den Hals trug, die Maggs ihr geschenkt hatte.
    Ich genoss jeden Moment. Nachdem ich ihr den Gürtel um den Hals gelegt hatte, konnte ich genau steuern, wie fest ich zog, und sie ganz langsam ersticken lassen. Es war unglaublich, welche Macht einem das verlieh: das Leben eines anderen Menschen auszulöschen. Ein überwältigendes Gefühl. Ich zog den Gürtel fester – so fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten, ehe ich wieder locker ließ. Ein kurzes Keuchen, und ihr Körper bäumte sich auf. Sie zuckte wie ein Hühnchen, dem gerade der Kopf abgeschlagen wurde. Das fand ich wirklich faszinierend: Wenn sie keinen Sauerstoff mehr erwischte, wurde sie nicht einfach schlaff, sondern bekam eine Art Anfall. Ich merkte, was für ein Gefühl von Frieden mich plötzlich durchströmte. Eine stille Hochstimmung breitete sich in mir aus. Dies war die Krönung überhaupt: Macht ohne Verantwortung.
    Ich ließ mich auf den Rücken sinken und starrte zum Himmel hinauf. Die Milchstraße war deutlich zu sehen: Dunstverhangene Sterne, versammelt wie Seelen, schnitten einen Streifen durchs Firmament. Ich bin kein Schriftsteller, doch während ich dort so lag, hatte ich das Gefühl, ein Gedicht verfassen zu können. Inspiriert von der Stille, dem Mond über mir und der salzigen Luft, die vom Meer herbeiwehte.
    Ich stand auf und holte Klebeband aus dem Kofferraum. Sie lag noch da, wo ich sie zurückgelassen hatte. Einen Moment dachte ich, sie wäre tot. Aber das konnte nicht sein. Zumindest noch nicht. Als ich mich über sie beugte, spürte ich ihren Atem an der Wange. Erleichtert riss ich ein Stück von dem Band ab und klebte es ihr über den Mund. Ich wollte nicht, dass sie irgendwelchen Lärm machte, wenn sie wieder zu sich kam, ich wollte jedoch auch nicht, dass sie starb. Deswegen ließ ich ihre
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