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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer
Autoren: G O'Carroll
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war über horizontale Linien verschmiert, die zu einer doppelt so alten Frau zu gehören schienen. Er betrachtete ihr Gesicht, ihr Haar, die Art, wie sie im Sessel saß. Als er noch genauer hinsah, registrierte er die goldene Kette, die an ihrem Hals schimmerte.

Montag, 1. September, 06:00 Uhr
    Jessica Quinn erwachte in einem stillen Haus. Sie war nicht sicher, welchen Tag sie hatten, hoffte jedoch, dass Sonntag war.
    Das Haus fühlte sich kalt und seltsam an. Sie hatte ein eigenartiges Gefühl im Magen, wusste aber nicht recht, warum. Als sie schließlich aufstand, schnappte sie sich ihren Teddy, nahm ihn fest in den Arm und ging hinüber ins Zimmer ihrer Schwester.
    Obwohl Laura noch halb schlief, schlug sie sofort die Augen auf, als hätte sie gespürt, dass jemand im Raum war.
    »Was ist?«, fragte sie. »Was ist los, Jess? Was hast du?«
    Jess zog die Schultern hoch. Da rollte Laura sich auf den Rücken, richtete sich auf und warf einen Blick auf ihre Nachttischuhr mit dem großen Zifferblatt.
    »Wieso bist du so früh schon auf?« Jess stand wie angewurzelt da, ohne etwas zu sagen.
    »Ich habe Sehnsucht nach Dad«, meinte sie schließlich.
    »Dann ruf ihn an. Er hat gesagt, wir dürfen ihn jederzeit anrufen. Erst gestern hat er es dir gesagt.«
    »Warum hat Mam ihn weggeschickt?«
    Laura schnalzte genervt mit der Zunge. »Sie hat ihn nicht weggeschickt. So ist das nicht. Du bist dafür noch zu jung, Jessie, du verstehst das nicht.«
    »Ich bin zehn.«
    »Nein, du wirst erst im Dezember zehn. Du verstehst das nicht.«
    Jess hatte inzwischen Tränen in den Augen. »Wir waren alle zusammen, dann ist Danny totgefahren worden, und seitdem ist Mam ganz anders. Als würde sie Dad die Schuld geben, Laura. Wie kann sie Dad die Schuld geben?«
    Laura seufzte. »Ich weiß es nicht, aber Polizisten sollten doch eigentlich in der Lage sein, die Leute zu fangen, die schlimme Sachen machen, oder etwa nicht? Dad hat den, der Danny totgefahren hat, nicht erwischt. Mehr kann ich dir auch nicht sagen, Jess. Du weißt doch, was er gestern gesagt hat: Er nimmt es Mam nicht krumm, dass sie ihm die Schuld gibt. Es geht ihr nicht besonders, aber es wird bestimmt bald besser. Sie braucht einfach Zeit.«
    »Ich weiß, aber nun müssen wir ohne Dad auskommen. Seit er nicht mehr da ist, haben wir nur noch Mam, die auf uns aufpasst.«
    Jessica ließ sich auf dem Bett ihrer Schwester nieder und zupfte am Ohr ihres Teddys.
    »Heute ist Montag«, stellte sie fest. »Ich dachte erst, es wäre Sonntag, weil alles so ruhig ist, aber wir haben heute Schule, es ist Montag.« Laura legte sich wieder hin.
    »Mam ist noch gar nicht aufgestanden. Du solltest auch wieder ins Bett gehen, Jess.«
    Jess schüttelte den Kopf. »Ich gehe runter.«
    Sie patschte aus dem Raum und über den Treppenabsatz. Eine Hand am Geländer, stieg sie langsam die Treppe hinunter und begab sich dann in die Küche. Wenige Augenblicke später kam Laura in Schlafanzug und Morgenmantel herunter. Jess stand gerade gefährlich wackelig auf einem dreibeinigen Hocker und versuchte, den Wasserkessel zu füllen. Laura nahm ihn ihr ab.
    »Du verbrennst dich bloß am Dampf«, sagte sie, »wie du es schon einmal getan hast. Weißt du noch?«
    Ein paar Jahre zuvor hatte Jess sich so schlimm das Handgelenk verbrüht, dass sie sie ins Krankenhaus bringen mussten. Laura setzte den Kessel auf und nahm eine Tasse aus dem Schrank. Jess holte währenddessen einen Teebeutel. Gemeinsam brauten sie ihrer Mutter eine Tasse Tee.
    Ein paar Minuten später gingen sie wieder nach oben. Laura trug die Teetasse. Die Schlafzimmertür ihrer Mutter stand einen Spalt offen, und Jess bemerkte, dass das Licht im Gang noch brannte. Das war nicht normal. Ihre Mutter machte die Tür immer zu, und wenn sie ins Bett ging, löschte sie das Licht. Das Schlafzimmer war leer, ihre Mutter nicht da. Das Bett war unberührt, die Decke glatt und flach und bis zu den Kissen hochgezogen.
    »Wo ist sie?«, fragte Jess.
    Laura wusste es nicht. Sie gab ihrer Schwester keine Antwort.
    »Wo ist sie, Laura? Unten ist sie auch nicht.« Eine Spur von Panik kroch in Jessies Stimme. Nervös fuhr sie sich mit einer Hand durchs Haar. Laura, die die Teetasse auf dem Nachttisch abgestellt hatte, starrte das Bett an, als hoffte sie, ihre Mutter würde jeden Moment darin auftauchen. Dann wandte sie sich ihrer Schwester zu.
    »Wo ist sie?«, wiederholte Jessie. »Warum ist sie nicht da?«
    Laura trat ans Fenster. »Ihr Auto ist auch nicht
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