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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss
Autoren: Lynn Raven
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versuchte nicht, die Tränen zurückzuhalten, während sie das Gesicht fester gegen die Schulter ihrer Schwester presste. » Ich liebe dich. Und ich liebe ihn. Es tut mir so leid, Seloran. Verzeih mir. Bitte, verzeih mir « , flüsterte sie erstickt. Ihre Hand umklammerte noch einmal die ihrer Schwester, dann stand sie entschlossen auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie blickte zu Javreens Leiche hinüber. Réfen hatte ihm die Decke übers Gesicht gezogen. Darejan straffte die Schultern, verdrängte das Gefühl von Schuld, das ihr die Kehle zuschnürte, und sah Réf an, während sie ihre Hand so fest um die Schuppe unter ihrem Hemd schloss, dass die Ränder in ihre Haut bissen. » Bringt ihn zum Wasser! «
    Réfen sah sie besorgt und unwillig zugleich an. » Darejan, was hast du vor? Sei vernünftig. Du kannst nichts mehr… «
    » Bitte Réf, ich habe keine Zeit, es dir zu erklären! Der Seelenmond ist fast untergegangen. Tu es einfach. «
    Noch einmal musterte er sie scharf, dann nickte er den anderen Männern zu. » Helft mir! «
    Darejan wurde mit verwirrten und misstrauischen Blicken bedacht, während sie den Leichnam auf die Decke hoben und dann zwischen den Felsen hindurch zum Strand hinuntertrugen. Sie folgten ihrem Befehl und gingen sogar einige Schritt weit in das schwarze Wasser hinein, obwohl sie sich immer wieder unruhig umsahen. Argwöhnisch verfolgten sie, wie Darejan die schwarze Schuppe unter ihrem Hemd hervorholte und sie rasch in vier Teile brach. Dann trat sie dicht neben Javreen. Seine Glieder trieben leblos auf der glänzenden Oberfläche. In ihrer unheimlichen Schwärze bewegte sein Haar sich, dass es beinah aussah, als würde er in stillem Protest den Kopf schütteln. Zuweilen spülte ihm das Wasser übers Gesicht, doch zugleich hatte es auch begonnen, ihm das Blut von der Haut zu waschen. Darejan kniete sie sich neben Javreen, schob einen Arm unter seine Schultern und nickte den Männern zu, dass sie auf den Strand zurückkehren konnten. Alle bis auf Réfen gehorchten hastig. Er trat nur ein paar Schritte zurück, beobachtete sie aber weiter schweigend und angespannt. Sie warf ihm einen langen Blick zu– und hoffte, dass er ihre stumme Bitte, nicht einzugreifen, verstand. Dann wandte sie sich wieder Javreens Leichnam in ihrem Arm zu. Sie begann, die Worte zu flüstern, die der Wächter der Seelen ihr genannt hatte, während sie die Teile der Schuppe auf die Stellen legte, für die sie bestimmt waren. Ein Teil auf die Brust, direkt über dem Herzen, eines auf jedes der geschlossenen Lider und das letzte auf die Zunge. Dann drückte sie Javreen mit beiden Händen bis auf den Grund unter Wasser. Sie hörte Réfen scharf einatmen, doch er versuchte nicht, sie aufzuhalten oder auch nur näher zu kommen.
    Wieder und wieder murmelte sie die Worte, mit jedem Mal drängender, während der Seelenmond sich langsam, aber unaufhaltsam den Felskämmen des Kraters entgegensenkte und sich mehr und mehr in eine fahle, bleiche Scheibe verwandelte. Das Wasser über ihren Händen war wieder zu einem unbewegten, lichtlosen Spiegel geworden, unter dem sich nichts rührte. Ihre Arme wurden müde und begannen vor Anstrengung zu zittern. Immer wieder sprach sie die Worte. In ihrer Stimme schwang inzwischen ein mühsam unterdrücktes Schluchzen mit.
    Das schwarze Wasser barst, als der Mond eben die Felsen berührte. Sie bekam einen Stoß, der sie nach hinten stolpern und stürzen ließ. Javreen brach aus dem Dunkel hervor, kam auf die Füße, wankte patschend einen halben Schritt auf das Ufer zu, ehe er taumelte und auf alle viere fiel. Glitzernde Kaskaden flossen aus seinem Haar und seinen Kleidern. Er hustete und würgte, spuckte Wasser aus und schnappte nach Luft. Seine Hand tastete nach seiner Brust. Als er sie zurückzog, war kein Blut an ihr. Darejan richtete sich zögernd auf, trat auf ihn zu und verharrte mitten in der Bewegung, als er ihr den Kopf zudrehte. Er starrte sie an. In seinen Augen lag alles Entsetzen, zu dem ein Mensch fähig war.
    » Was hast du getan? « , flüsterte er heiser.
    » Du lebst! « Sie presste die Worte halb erstickt hervor.
    Er schien sie nicht zu hören. » Was hast du getan? « , wiederholte er mit wachsendem Grauen. Er starrte auf seine Hand, bewegte die Finger im Mondlicht, sah Darejan wieder an. » Was hast du getan? « Dieses Mal schrie er. » Ich war tot. « Wankend stand er auf, machte einen unsicheren Schritt auf sie zu. Sie wich vor ihm zurück. » Warum?
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