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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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Kammer. Irmtraud nahm auf einem der Schemel Platz und machte sich daran, das Ave-Maria zu beten. Die alte Wachterin, die Schwiegermutter der Gebärenden, ließ ein mürrisches Murmeln hören:
    »Wird auch Zeit, dass du endlich da bist! Hat lang genug gedauert!«
    Luzia nickte ihr nur kurz zu und trat an das Bett heran.
    Anselma Wachter lag völlig erschöpft auf dem mit Schilf und getrocknetem Seegras gefüllten Sack, der ihr als Matratze diente. Von der großen Anstrengung war ihr Gesicht verquollen und rot. Die helfenden Frauen hatten bereits vorsorglich Anselmas langes Haar gelöst, wie es Brauch war. Sie hofften, so die gefürchteten Knoten in der Nabelschnur abzuwenden. Feucht und schwer klebten die goldblonden Strähnen der jungen Korbmacherin an ihren Schläfen.
    »Die Selma stöhnt und jammert, als ob sie die einzige Frau auf dieser Erde wäre, die jemals ein Kind bekommen hat!«, meldete sich die Wachterin hinter Luzias Rücken zu Wort.
    »Vergesst nicht, für sie ist es das erste Mal«, antwortete sie.
    »Die soll sich nicht so anstellen«, murrte die alte Frau weiter. »Glaub mir, ich selbst habe fünf Kinder geboren. Auch Selma wird es überleben.«
    »Dann wisst Ihr ja sicher auch, dass jede Geburt ein bisschen anders verläuft.« Luzia wurde zunehmend ungeduldig. Wie sollte sie der Korbmacherin helfen, wenn ihr ständig jemand dreinredete?
    Sie beugte sich über die junge Frau. »Anselma, du wirst sehen, alles wird gut!«, versprach Luzia so selbstsicher, wie es ihr möglich war. Die junge Wachterin nickte schwach. Luzia hoffte im Stillen, dass wirklich alles gut werden und das Gefühl, das sich ihr aufdrängte, seit sie die Kammer betreten hatte, wieder weichen würde. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht schneller gekommen war und durch das Geplauder mit Matthias vielleicht lebenswichtige Zeit verloren hatte.
    »Nun, was sagst du?« Mit diesen Worten packte die Altmutter Luzias Arm. Ohne es verhindern zu können, schoss eine gewaltige Welle Ungeduld und Furcht durch Luzias Leib.
    »So habt doch Geduld und lasst mich meine Arbeit tun!«, gab Luzia zurück. Sie hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren.
    Die Wachterin wagte nicht, ihr zu widersprechen. Mit lauten Schritten stampfte sie zur Tür hinaus.
     
    Mit jeder neuen Wehe, die über ihren Körper hinwegrollte, schrie die junge Korbmacherin laut auf und krallte die Finger in den Strohsack. »Das hier ist die Hölle«, stöhnte Anselma zwischen zwei Wehen.
    Hinter sich hörte Luzia, wie Irmtraud und Sieglinde laut beteten, ansonsten rührten sie sich nicht von der Stelle. Luzia
wusste, jetzt musste schnell etwas geschehen, sonst würden die Klageweiber die werdende Mutter mit sich in die Tiefe ziehen.
    »Zuerst brauche ich mehr Licht. So kann ich beim besten Willen nichts sehen!«
    Irmtraud sprang auf und eilte hinaus.
    »Und du bringst mir heißes Wasser und ein Leinen«, scheuchte Luzia die magere Frau des Flickschneiders auf.
    Auf Sieglindes Gesicht machte sich Erleichterung breit. Sie war froh, eine Aufgabe zu haben und das Zimmer verlassen zu können.
    »Luzia, ich bitte dich, so hilf mir doch! Ich glaube nicht, dass ich den Sonnenaufgang noch erleben werde«, flehte die werdende Mutter mit leiser Stimme, dabei wirkte sie so müde und kraftlos, dass Luzia sich ernsthafte Sorgen machte. Anselmas Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Unheilvoll kündigte sich bereits die nächste Wehe an. Irmtraud kam mit zwei Talglichtern ans Bett, und Luzia konnte besser sehen, wohin ihre Hände griffen.
    »Ich halte diesen Schmerz nicht mehr länger aus! Bitte mach, dass es aufhört«, bettelte Anselma hilflos, bevor sie in dem vergeblichen Versuch, den Schmerz zu ersticken, die Luft anhielt.
    Luzia nickte ihr zu, ihre Hände, die immer noch kalt und steif waren, fanden ihren Weg zu Selmas Bauch. Behutsam legte die Wehmutter ihre Handflächen auf die heiße, zum Bersten gespannte Haut. Sie spürte den kühlen Schauer, der die Gebärende durchlief. Mit einem Ausatmen lehnte Anselma sich zurück in das Kissen, ihre Anspannung ließ leicht nach. Luzias Hände lagen immer noch auf Selmas Bauch, und
nun setzte ein wohliges Kribbeln unter ihren Händen ein. Während Anselmas Schmerz durch ihren eigenen Leib strömte, schloss die junge Wehmutter die Augen. Bald löste sich die Gebärende aus dem eisernen Griff der Angst.
    Luzia sah Anselmas fragenden Blick. Was war da gerade mit ihr geschehen?, fragte dieser Blick. Und woher kam das helle Glitzern in den
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