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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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Jenseits.
    Stuben und Ställe wurden um diese Zeit mit einer Mischung aus Wacholderholz und getrockneten Holunderblüten geräuchert. Das heilige Holz der Perchta, die den Leuten vom See neben dem christlichen Glauben heilig war, reinigte die Wohnstätten von Mensch und Tier. Ebenso die Wege und Pfade der Umgebung. Die umherirrenden Seelen derer, die ungetauft gestorben waren, konnten im heiligen Rauch Perchtas endlich ihre Ruhe finden.
    Nach altem Glauben besaßen Kinder, die in dieser Zeit zur Welt kamen, oft das Zweite Gesicht. Ihnen wurde nachgesagt, sie könnten Geister und Dämonen sehen.

    Auch wenn Sturm und Schnee unheimlich waren, glaubte Luzia nicht, dass sie den Hergang der Geburt beeinflussen würden. Sie trug jede Niederkunft auf einem Pergament ein. Pater Wendel in gab ihr jedes Jahr einige Bögen davon und ermutigte sie, täglich ein paar Zeilen zu schreiben.
    Durch ihre Aufzeichnungen wusste die Hebamme, dass die allermeisten Kinder um den vollen Mond zur Welt kamen und dass im Winter weit mehr Kinder starben als im Sommer. Aber zur Zeit der Raunächte war es noch nie zu einer Häufung der Todesfälle gekommen.
    In den Jahren ihrer Hebammentätigkeit hatte Luzia schon Schlimmes erlebt. Auch dieser Entbindung begegnete sie mit größtem Respekt, doch Jammern hatte noch nie geholfen. Ehe Irmtraud also ihrer Angst noch mehr Futter geben konnte, berührte Luzia sanft den Arm der aufgebrachten Frau. Schon als Kind konnte sie allein durch eine Berührung die Gefühle und Gedanken ihrer Mitmenschen miterleben. Wellen der Trauer oder des Schmerzes brandeten bisweilen an die Ufer ihrer Seele. Manchmal fluteten sie Luzias Herz und zogen es in die Tiefe. Hass und übelwollende Gedanken brachten sie oft an die Grenzen des Ertragbaren. Dann glaubte sie selbst in Flammen zu stehen, so weh taten ihr die fremden Empfindungen. Im Kindesalter hatte Luzia auch gemerkt, dass ihre Hände Schmerz lindern und Trost spenden konnten. Gefürchtet hatte sie sich erst, als während ihres Heranwachsens auch andere Sinne die Hellsichtigkeit ihrer Hände erlangten. Ein Leben lang würde sie sich daran erinnern, als sie Azrael das erste Mal gesehen hatte. Seither begegnete sie dem dunklen Engel immer, wenn er die Seele eines Sterbenden heimbrachte. Die Mutter, der sich Luzia aus Angst anvertraut
hatte, war dem »Teufelszeug« und der Andersartigkeit ihrer Tochter nicht gewachsen gewesen. Sie hatte den »Fluch ihrer Hände« immer ihrem Starrsinn zugeschrieben und war ihm mit der Rute begegnet. Erst Elisabeth hatte sie gelehrt, dass der »Fluch« ein einzigartiges Geschenk sei. Ein Segen aus der Hand Gottes.
     
    »Nun mal ganz langsam!«, sagte Luzia und verstärkte leicht den Druck auf Irmtrauds Arm, um sie zu beruhigen. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn du mich jetzt gleich zur Korbmacherin bringst. Erst wenn ich Anselma selbst gesehen habe, kann ich mir ein Bild vom Stand der Geburt machen.«
    Irmtraud nickte abwesend, sie spürte ein ungewohntes Kribbeln auf ihrem Oberarm. Mit einem Mal fühlte sie sich sehr viel ruhiger, und ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Luzia vertrauen konnte. Während sich ihre Angst löste, verloren Unwetter und Raunächte etwas von ihrem Schrecken.
    »Ja, natürlich, aus diesem Grund bist du ja hier! Mit deiner Unterstützung wird es schon gutgehen«, sagte Irmtraud und forderte Luzia auf, ihr in die Kammer gegenüber der Eingangstür zu folgen.
    Beim Eintreten in die kleine Kammer der Korbmacherin wallte Luzia eine Schwade abgestandener Luft entgegen. Sie roch den scharfen Dunst von Schweiß und von Blut. Mehrere Kohlebecken wärmten den niedrigen Raum. Wände und Decke der kleinen Stube waren schwarz vom vielen Lampenruß. Die einzige Lichtquelle war ein Feuer im offenen Kamin.
    »Gott zum Gruße, alle miteinander.« Luzias Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Unter ihren Füßen spürte sie die Binsen, die den unebenen Boden bedeckten. Gegenüber der Tür standen dreibeinige Schemel, die man dort für die Nachbarsfrauen und die Altmutter aufgestellt hatte. Eine Geburt war kein einsames Ereignis.
    Luzias Blick flog zur Bettstatt aus hellem Fichtenholz, die rechts an der Wand stand. Dort lag Anselma, deren Darm sich in diesem Augenblick geräuschvoll entleerte. Die andere der beiden Nachbarsfrauen, Sieglinde, die Frau des Flickschneiders, zog das schmutzige Laken unter dem Körper der Gebärenden weg. Sie verzog das Gesicht vor Ekel und Angst und verließ rasch die
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