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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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Gebete herunter: » Ave Maria, gratia plena … Sancta Maria, Mater Dei … « Luzia spürte ihre Blicke auf sich ruhen. Auch ihnen war nicht entgangen, dass die Zeit verrann.

    »Gib nicht auf, du bist auf dem rechten Weg!«
    Luzia hob ruckartig den Kopf und sah auf die Feuerstelle. Das Flüstern war aus den Flammen gekommen. Ein kaum sichtbares Lächeln umspielte ihren Mund.
    Jetzt suchte sie nach dem Augenblick. Der winzigen Lücke in den mächtigen Speichen im Rad der Zeit, in welche sie mit Gottes Hilfe den Stab des Schicksals senken konnte. Nur einen Atemzug. Und noch einen. Die Minuten vergingen. Und da, endlich vermochten Luzias Finger das Kleine zu greifen und es schließlich im Bauch der Mutter zu drehen, wobei sie die Nabelschnur über den Kopf des Kindes gleiten ließ, damit sie keinen Schaden mehr anrichten konnte.
     
    Dann ging alles sehr schnell, und nach drei weiteren Wehen, die Selma zwar Schmerzen bereiteten, sie aber nicht in die tiefsten Abgründe rissen, gebar sie ihr Kind aus eigener Kraft. Luzia nahm das Kleine in Empfang.
    »Da haben wir ja den neuen Erdenbürger!« Triumphierend hielt die Wehmutter das neugeborene Menschlein, das sich mit kräftiger Stimme über die kalte, ungewohnte Umgebung beklagte, in die Höhe. So konnte auch Selma einen ersten Blick auf ihr Kind werfen. Als sie sah, dass sie einen Jungen geboren hatte, fiel die Erleichterung noch um einiges größer aus. »Ein Bub, es ist ein Bub!«
    Selbst die alte Wachterin, deren schlohweißes Haar ihr mittlerweile in wilden Büscheln um den Kopf stand, schien mit dem Ausgang der Geburt sehr zufrieden. Mit einer Regung, welche einem Lächeln schon sehr nahe kam, segnete sie die junge Mutter und das Neugeborene, indem sie beiden ihre Hand auf die Stirn legte.

    Mit sanften Berührungen umfingen Luzias Hände den rosigen, kleinen Körper und hoben ihn in sein erstes Bad. Zart strichen ihre Finger über die kleinen Augen, die noch geschlossen waren. Zufrieden entspannte sich das Neugeborene von seiner langen Reise.
    »Du bist wunderschön«, flüsterte Luzia.
    Der Knabe öffnete seine tiefblauen Augen und schaute sie an, als verstehe er jedes Wort.
    Luzia wickelte das Kind in Leinen, ehe sie es Anselma in die Arme legte. Im Anschluss warf sie mit sicherer Hand trockenes Holunderholz in die glimmenden Kohlen des Wärmebeckens. Eine kleine Flamme entstob den rot glühenden Kohlen. Ganz offensichtlich betrachtete Perchta ihr Opfer mit Wohlwollen. »Weise Mutter, ich danke dir für dein unerschöpfliches Wissen. Nimm das heilige Holz des Holunders und behüte Mutter und Kind. Schütze sie vor allem, was ihnen Böses will.«
     
    Inzwischen brachte die Altmutter den frischen Schilfgrassack. Traditionell wurden ihm die Kräuter des Frauenbündels beigemischt. In der Regel handelte es sich um Labkraut, Quendel, Leinkraut, Dost, Weidenröschen, Kamille, Gundelrebe, Frauenmantel und Johanniskraut, die von den Frauen zwischen Sommersonnwende und den Hundstagen gesammelt wurden. Auf diese Weise hielt die große Mutter durch ihre heiligen Schätze ihre schützende Hand über die Wöchnerin und ihr Neugeborenes. Die wertvollen Heilpflanzen bewahrten Mutter und Kind auch vor den Druden. Vor den unheimlichen Nachtmahren fürchtete sich jeder. Sie krochen durch Schlüssellöcher und Fensterritzen, um die ungeschützten
Menschenseelen zu entführen oder gegen ein Feenkind auszutauschen.
    Luzia setzte sich einen Augenblick und nippte an dem Dünnbier, das ihr die Altmutter servierte.
    Andächtige Stille erfüllte die kleine Kammer, einzig durchbrochen von den leisen Atemgeräuschen und dem zarten Schmatzen des Kindes, das im Arm seiner Mutter lag. Diesem Moment wohnte immer etwas Heiliges inne.
    Der Anfang jeden Lebens gleicht einem Wunder, dachte Luzia. Um dieses Wunder zu ermöglichen, durchschreitet die Frau alle Tiefen der Unterwelt. Sie bezahlt mit ihrem Schmerz, einem Herzen voller Angst und ihrem Schweiß. Erst wenn sie dem Tod als Unterpfand ein kleines Stück ihrer Seele überlässt, darf sie die heilige Flamme des Lebens weiterreichen. So lautet der Handel. Das ist der Preis.

2
    L uzia bückte sich nach den leuchtenden Ringelblumen, die neben vielen anderen Heilpflanzen, Gemüsen und Blumen in Elisabeths Garten wuchsen.
    »Calendula officinalis«, sagte sie und lächelte. Pater Wendelin bestand darauf, dass sie auch die lateinischen Namen aller Heilpflanzen kannte. Sie pflückte eine Handvoll Blütenköpfe und schüttelte dabei vorsichtig
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