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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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zugerichtet, dass selbst Pater Wendel in beim Anblick des Toten erschrocken war. Abermals hallte das Heulen mehrerer Wölfe vom nahen Wald her. Während ihr das Blut in den Ohren rauschte, hinderte sie lähmende Angst am Weitergehen.
    »Geh weiter! Du bist auf dem rechten Weg!«, drang das kaum wahrnehmbare Flüstern an ihr Ohr. Die Schneeflocken glitzerten auf einmal wie verzauberte Kristallsterne. Perchta, die uralte Erdenmutter, die Hüterin der Elemente und des Wetters, war ihr also gnädig.
    »Große Mutter, Quelle der ungeborenen Seelen, danke, dass du mir den sicheren Weg weist«, flüsterte Luzia dankbar.
    Mit frischer Hoffnung stapfte sie weiter. Jetzt würde sie den Weg schaffen, und da vorne, war das nicht bereits die Schmiede, die ihr warmes Licht durch den dichten Vorhang aus Schneeflocken zu ihr sandte? Wenn sie erst bei der Schmiede angekommen war, war der Weg nicht mehr weit.
    Ihre Gedanken eilten voraus und waren bereits bei der Frau des Korbmachers. Hoffentlich würde Anselma die Geburt gut überstehen. Und das Kind?
    Irgendwo verfing sich der Wind in einem offenen Scheunentor und begann ein trauriges Lied anzustimmen.
    Nach wenigen Schritten erreichte sie das Haus des Schmieds. Sie hatte sich nicht getäuscht. Dort wurde schon gearbeitet. Luzia reckte ihren Hals, um durch die schmale, kleine Fensterluke zu spähen. In der Esse brannte bereits ein warmes, fröhliches Feuer.
    Also hatte Matthias vor nicht allzu langer Zeit denselben Weg zurückgelegt wie sie. Diese Gewissheit wärmte ihr das
Herz. Sie lehnte sich im Windschatten an das Fenster, um für einen Augenblick neue Kraft zu schöpfen.
    Matthias war Geselle in der alten Schmiede. Daheim in der Fischergasse wohnten Luzia und er Haus an Haus. Sein Vater fuhr genau wie Luzias Onkel Jakob als Fischer auf den Bodensee hinaus, um Tag für Tag die Ernte des Wassers einzubringen. Vor sechs Jahren hatten sie sich kennengelernt, kurz nachdem sie zur Frau geworden war und ihre Mutter sie aus Ravensburg weggeschickt hatte. Dreizehn war sie damals gewesen.
    Matthias war für Luzia wie der große Bruder, den sie nie gehabt hatte. Sein Humor vermochte selbst in der dunkelsten Stunde ein Licht zu entzünden. Luzia liebte ihn für seine Wärme und für die Gabe, ihr in den unmöglichsten Situationen ein Lächeln zu entlocken. Für all seine Unbeschwertheit und Fröhlichkeit. Er war breitschultrig und groß gewachsen und wirkte wie ein gutmütiger Bär.
    Oft glitzerten seine braunen Augen vor Übermut, dann sah Luzia einen kleinen Jungen vor sich, und manchmal lachte er so albern, dass sie nur den Kopf schütteln konnte. Luzia fand schon immer, dass Matthias irgendwie von innen heraus strahlte. Wie es die Esse tat oder die Sonne.
    Sie hatte ihn vom ersten Tag an gemocht, denn er hatte zu den wenigen gehört, die sie vor sechs Sommersonnwenden nicht wegen ihres Haares angestarrt hatten, als gäbe es nichts anderes zu sehen. Damals war ihr Haar noch von einem geradezu leuchtenden Rübenrot gewesen. Mit der Zeit war ein warmes, strahlendes Fuchsrot daraus geworden.
    Mittlerweile waren beide dem Jugendalter entwachsen. Während Luzia gerade ihren neunzehnten Winter erlebte,
zählte Matthias schon etwas über zwanzig Sommer. Dennoch glaubte sie manchmal, dass er wohl nie erwachsen werden würde. Sie seufzte, dann machte sie sich wieder auf den Weg. Noch ein paar Minuten, und sie würde das Haus der Korbmacher erreichen.
    »Luzia! Luuziia!«
    Zunächst hörte sie Matthias’ Rufe gar nicht. Erst als er mit wenigen Schritten seiner langen Beine hinter ihr stand und abermals rief, drehte sie sich um.
    »Gott zum Gruße, Luzia!«, sagte Matthias mit einem fröhlichen Lachen. Dabei strich er sich die braunen Locken aus den Augen. Ein paar Schneeflocken hatten sich bereits in seinen Wimpern verfangen. »Dachte ich es mir doch, zu dieser frühen Stunde kämpft sich entweder der Pfarrer oder die Hebamme durch den Schnee, und weißt du, was?«, fragte er lachend.
    Luzia schüttelte den Kopf.
    »Ich freue mich, dass du es bist und nicht Pater Wendelin.«
    »So, und warum, wenn ich fragen darf?«, neckte Luzia ihn. »Fürchtest du dich am Ende davor, dass der Gute dir schon vor der Morgensuppe die Leviten liest? Oder was hast du sonst gegen Pater Wendelin einzuwenden?«
    Er schüttelte ver wirrt den Kopf. »Ich …, nein, vor dem Pater fürchte ich mich bestimmt nicht! Schließlich bist du weitaus strenger mit mir«, beeilte er sich zu sagen. »Aber über Pater Wendelins
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