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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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Tropfen in der Gesäßfalte sammelten. Die Angst hetzte ihn quer durch das nächtliche Ravensburg. Ein paarmal geriet er ins Straucheln, und einmal stolperte Grumper in der Dunkelheit und fiel in den klammen Matsch. Mühsam erhob er sich und rannte weiter. Hinter jeder Biegung und an jeder Hausecke stand die Hexe in ein silberweißes Gewand aus Mondschein gehüllt. Es tauchte ihren nackten, weißen Leib in einen zarten Nebelschleier und wollte ihn zur Sünde verführen. Während sein Herz ins Stolpern geriet, fiel ihm das Atmen immer schwerer. Obwohl er sich am anderen Ende der Stadt glaubte, erblickte er mit einem Mal den Grünen Turm.
    »Das kann nicht sein! Die Hexe täuscht meine Sinne. Sie will mich ins Verderben locken! Herr, ich habe getan, was gut und richtig ist, darum überlass mich nicht der Willkür meiner Feinde!«, rief Grumper in die Finsternis und rannte halb wahnsinnig vor Angst zur Stadtmauer. Der weißgekalkte Frauenturm schimmerte im Mondlicht, aber das rettende Tor
war längst geschlossen. Weit und breit sah Grumper keine Menschenseele. Nicht einmal der Nachtwächter sang sein Lied.
    »Ich verfluche dich bis ans Ende aller Tage!«, raunte ihm der Wind ins Ohr.
    In seiner Brust wurde es immer enger. Sein Atem ging stoßweise, als sein Blick auf den luftigen Wehrgang über der Stadtmauer fiel. Dort oben hoffte er besser atmen zu können. Seine letzte Hoffnung war die Notleiter, die außer im Brandfall ausschließlich von den Torwachen erklommen werden durfte. Im bleichen Mondlicht sah er den rettenden Fluchtweg. Immer zwei Sprossen auf einmal nehmend, stieg er die wackelige Leiter empor.
    Hier oben auf der Brüstung fühlte sich Grumper dem Himmel näher. Während sich der rasselnde Atem des Geistlichen langsam beruhigte, verlor sich sein Blick über den schwarzen Wäldern, die Ravensburg wie eine schützende Hand umgaben. Während der dünne Wolkenschleier den vollen Mond aus seiner weißen Umarmung entließ, trieb die leichte Brise ein paar trockene Eichenblätter vor sich her. Lange blickte Grumper über die Brüstung nach unten. Das silberne Licht ergoss sich wie Elfenblut über die in dichter Reihe stehenden Holzpfähle. Ihre angespitzten Enden ragten wehrhaft aus der Erde. Erschöpft lehnte sich der Kaplan gegen die Bretter des Wehrganges und glitt an der Wand hinunter. Zwar wusste er nicht wie, aber er schien der Hexe entkommen zu sein.
     
    Die Bläser verkündeten die elfte Stunde, als Johannes zu Hause in der Frauenstraße seinem Araberhengst endlich den Sattel abnahm. Heute hatte er neben zahlreichen Krankenbesuchen
viele Male den Pestkarren rufen lassen. Einen Toten hatte er noch vor Schließung der Stadttore selbst zu einer der Kalkgruben gebracht.
    Mittlerweile waren viele Pestknechte selbst erkrankt, und einen Ersatz für die tüchtigen Männer gab es nicht. Jeder fürchtete, selbst der Nächste zu sein. Die von der Stadt bestellten Pestknechte arbeiteten von früh bis spät und schafften es dennoch nicht, alle Verstorbenen gleich vor die Stadtmauer zu bringen.
    Während Johannes sein Pferd tränkte, dachte er an den Scheiterhaufen, der bereits auf dem Holzmarkt aufgeschichtet war und der nur darauf wartete, Luzia den Tod zu bringen.
    Das leise Klopfen an der Stalltür, riss ihn aus seinen Gedanken. Sofort öffnete er sie einen Spaltbreit.
    »Gott zum Gruß, Herr Medicus!« Der Mann mit den grünen Augen kauerte zu seinen Füßen. Heute Abend lag ein Schatten unter ihnen. Das Grün war nicht mehr so lebendig.
    »Michel Weidacher schickt mich«, brachte der Alte mühsam hervor und zog sich in den Stall.
    Johannes nickte voller Ungeduld, als sich der Bettler ins Stroh fallen ließ.
    »Was hat er dir aufgetragen?«, entgegnete Johannes schroffer als beabsichtigt. Die Anspannung der letzten Stunden zerrte zusätzlich an seinen Nerven.
    »Ich soll Euch ausrichten, Ihr sollt zum Grünen Turm kommen!«, sagte der Alte leise, »er erwartet Euch zur fünften Nachtstunde an der Gefängnispforte. Sollte Euch jemand fragen, sagt, man habe Euch zum alten Burger gerufen, weil die Wachen vermuten, er habe die Pest. Doch nur Herr Michel weiß, dass der Dieb bereits mit dem Beginn seiner Schicht gestorben
ist. Herr Michel wird Euch einen Schlüssel reichen und Euch in die erste Zelle nach dem Abgang schicken. Dort werdet Ihr auf Jungfer Gassner treffen. Herr Michel lässt Euch außerdem ausrichten, dass er ein großes Leinen hinter Jungfer Gassners Zellentür legt.«
    Johannes wusste, dies würde
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