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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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Türen und Fenster geschlossen waren, begannen die Kerzen zu flackern, die Johannes zum Gebet entzündet hatte. Für einen Moment war ihm, als höre er Luzias sanfte Stimme, und während ein Windhauch seine Wange streifte, glaubte er sogar ihre Wärme zu spüren.
    Die Turmbläser verkündeten die Mitternacht. Johannes wusch sich die Hände, verriegelte die Fensterläden und die schwere Eichentür, bevor er in der Dunkelheit davonritt. In seinem Gepäck befanden sich nur Basilius’ Testament, ein paar wertvolle Bücher und ein Beutel voller Goldstücke. Um alles andere würde er sich später kümmern.

    Wie jeden Tag klopfte Johannes an die schwere Gefängnistür. Obwohl er genau wusste, dass man ihn nicht zu Luzia vorlassen würde, konnte er nicht von der Gewohnheit lassen. Er konnte nicht einmal sagen, ob sie das Brot erhielt, das er tagtäglich für sie vorbeibrachte.
    Zu seiner Verwunderung öffnete ihm Michel Weidacher den oberen Teil der zweigeteilten Eichentür. Aber auch er ließ ihn nicht eintreten, so reichte Johannes’ Blick wieder nur bis in die düstere, kleine Wachstube, die sich hinter Michels Rücken auftat.
    »Ihr?«, fragte Johannes überrascht.
    Michel nickte.
    »Das stimmt mich ein wenig zuversichtlicher!«
    »Das sollte es nicht«, entgegnete Michel knapp. »Dem Kollegen Schwarzenberger hat das letzte Stündlein geschlagen. Wahrscheinlich hat sich der Trunkenbold im Rausch das Genick gebrochen«, sagte Michel ohne eine Spur des Bedauerns. In seinem Gesicht zeigte sich keine Regung. »Und einige Kameraden hat die Pest dahingerafft. Deshalb hat sich Heinrich Kramer ausnahmsweise nicht in Feldmanns Wacheinteilung eingemischt. Nun ist er froh, dass die Stadt noch über einige gesunde Männer verfügt.«
    »Dann bitte ich Euch, lasst mich zu Luzia«, sagte er hoffnungsvoll.
    »Ich darf Euch nicht hinunterlassen«, entgegnete Weidacher kurz. »Es gelten noch immer die Befehle des Inquisitors. Er befürchtet, sie könnte einem Besucher schaden, indem sie ihn verhext.«
    Zornig schüttelte Johannes den Kopf und verpasste dem Türrahmen einen wütenden Tritt.

    »Verdammt, Weidacher, Ihr wisst doch, dass Luzia Gassner keine Hexe ist!«, rief Johannes aufgebracht.
    Michel nickte zwar, machte aber keine Anstalten, Johannes einzulassen. Stattdessen machte er eine leichte Kopfbewegung nach hinten, und Johannes konnte sehen, dass noch ein weiterer Wachmann sich in der kleinen Wachstube auf einem alten Schemel fläzte. Er sah grimmig drein und wirkte nicht, als wolle er eine Ausnahme gestatten.
    Während Johannes seine Augen schloss und geräuschvoll ausatmete, verfluchte er sein Pech. Wäre Michel Weidacher allein gewesen, hätte er bestimmt mit sich reden lassen.
    »Dann sagt mir wenigstens, wie es ihr geht«, verlangte er grimmig.
    Michel wich seinem Blick aus.
    »Ich werde sie erst heute Abend sehen, wenn ich den Gefangenen ihre Mahlzeit bringe«, lautete seine knappe Antwort.
    »Und jetzt müsst Ihr gehen!«, sagte Michel schnell, nahm das Brot aus Johannes’ Händen und schob die Tür zu, bis sie mit einem dumpfen Scheppern ins Schloss fiel.
     
    Lange bevor das erste Licht des Tages durch die Fenster sickerte, floh Johannes das Lager, das ihn seit Stunden quälte, und wanderte wie ein gefangenes Tier von einem Raum zum anderen.
    Während er ans Fenster trat und hinaussah, fügte er seinem nächtlichen Plan einen neuen Gedanken hinzu. Langsam fügte sich alles wie ein schimmerndes Mosaik zusammen. Seine Überlegungen waren gewagt, doch während das erste Tageslicht die Welt in tristes Grau tauchte, stand sein
Entschluss fest! Er wollte Weidacher aufsuchen und ihn für seinen waghalsigen Plan gewinnen …
     
    Als sich Johannes auf den Weg machte, waren die Straßen noch leer. Außer dem Pestkarren begegnete er nur ein paar Tagelöhnern, die auf dem Holzmarkt Arbeit für den Tag suchten, und den Bettlern, die wie jeden Tag an einem der Stadttore um Almosen baten. Selbst der arme Teufel, dessen Beine dem Antoniusfeuer zum Opfer gefallen waren, zog sich bereits auf seinen Händen über den Platz. Er lag den ganzen Tag zwischen dem Frauentor und dem Grünen Turm und war über die Ein- und Ausreisenden bestens informiert. Wie immer, wenn Johannes in die grünen Augen des Bettlers sah, fühlte er einen Stich in der Brust. Luzia hatte den alten Mann immer gemocht.
    »Bitte verzeiht, Herr Medicus!«, murmelte der Alte, an Johannes gewandt, und sagte mit lauter Stimme: »Ich bitte Euch, denkt an Euer Seelenheil
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