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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer
Autoren: Cornelia Haller
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waren, seitdem Schwarzenberger ihr das letzte Brot vor die Füße geworfen hatte. Seitdem war auch kein anderer mehr erschienen. Wollte man sie hier verhungern und verdursten lassen? Sie ertastete den Krug, in dem schon lange kein Wasser mehr war, und
warf ihn in einer verzweifelten letzten Kraftanstrengung gegen die Tür.
    »Ist denn da niemand?«, schrie sie.
    Niemand antwortete ihr.
     
    Basilius konnte sich nicht erinnern, sich jemals so elend gefühlt zu haben. Mühsam schleppte er sich von seiner Schlafkammer im ersten Stock des Apothekerhauses hinunter in die Arbeitsräume im Erdgeschoss. Obwohl er ein dickes Leinenhemd, das bis zum Boden reichte, und eine Schlafmütze aus Wolle trug, fror der alte Mann entsetzlich. Mit zitternden Händen nahm er ein Gefäß, das Weidenrinde enthielt, vom Regal. Dann setzte er sich, in eine Decke gehüllt, an den Tisch und schluckte den bitteren Aufguss. Die schwarzen Schwellungen im Halsbereich und unter den Achseln sagten ihm, was er schon geahnt hatte. Auch er war an der Pest erkrankt. Bereits gestern hatte er den Großteil seiner Habe in schweren Reisekisten verstaut, die er mit letzter Kraft herbeigeschleppt hatte. Der Schweiß floss ihm in Strömen über das Gesicht, dennoch fror er und zitterte so stark, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. Mit zitternder Hand begann er einen Brief an Johannes zu schreiben. Basilius vermachte den gesamten Hausstand, alle seine Bücher und Gerätschaften dem jungen Doktor. Bevor er weiterschreiben konnte, wischte sich der alte Mann den Schweiß von der Stirn. Unter anderen Umständen wäre selbstredend seine Nichte die Begünstigte gewesen. Wenn er aber seinen Besitz Luzia hinterließ, würde das Erbe nach ihrem Tod ganz automatisch an die Kirche fallen. Das Vermögen einer Hexe wurde immer eingezogen. So wahr ihm Gott helfe, das wusste er zu verhindern!

    Die Sorge um seine Nichte nahm ihm die letzte Kraft, und als Johannes am nächsten Tag in die Marktstraße kam, hatte Basilius bereits zeitweise das Bewusstsein verloren.
    Mit kundigen Händen versuchte der Medicus dem alten Mann die kurze Zeit, die ihm noch bleiben würde, zu erleichtern. Er kühlte seine Stirn und die schwarzen Beulen, die einen rasenden Schmerz durch den Körper des Kranken jagten. Mit warmen Steinen hoffte der Medicus das Kältegefühl, mit welchem das Fieber den entkräfteten Mann zusätzlich quälte, ein wenig zu lindern. Wäre der ausgezehrte Leib seines alten Freundes nicht bereits mit zahlreichen Geschw üren bedeckt gewesen, hätte Johannes sich auf die Empfehlungen seiner Lehrer zu Montpellier berufen. Sie waren dazu übergegangen, die Pestbeulen mit einem glühenden Eisen auszubrennen, um die Wunden anschließend mit einer Mischung aus Wein und Essig zu versorgen. Einige Leben hatten sie auf diese Weise sogar gerettet. Doch für Basilius würde diese Behandlung den sicheren Tod bedeuten, so wollte Johannes wider besseres Wissen darauf hoffen, dass sein alter Freund zu den wenigen gehörte, die die Pest überlebten und wieder gesund wurden.
    »Dort auf dem Tisch liegt ein Brief. Er ist für dich bestimmt«, flüsterte Basilius mühsam und griff zitternd nach Johannes’ Hand. »Der bloße Gedanke, dass sich die Kirche nach Luzias Tod auch noch an ihrem Erbe bereichert, lässt mir schon jetzt keine Ruhe. Ich müsste mich im Grabe herumdrehen, wenn dem so wäre! Deshalb hinterlasse ich dir meinen gesamten Besitz. Verfahre nach eigenem Gutdünken damit.«
    Johannes streichelte die Hand des alten Freundes.

    »Ich werde nicht zusehen, wie die Häscher der Inquisition ihre höllischen Pläne in die Tat umsetzen, und wenn der Allmächtige uns beisteht, wird es mir vielleicht gelingen, Luzias Leben zu retten.«
    Ein Leuchten erhellte Basilius’ müde Augen. Tränen sammelten ihre salzige Botschaft in den Augenwinkeln des alten Mannes, ehe sie seine faltigen Wangen netzten. Er nickte matt. Nach einer Pause, in der Johannes ihm die Stirn trocknete, nahm Basilius das mühevolle Gespräch wieder auf.
    »Wenn das wirklich wahr ist … Mein Gott, Johannes. Ich habe dich immer wie einen Sohn geliebt. Rette Luzia und bring sie weit fort von hier!« Mit letzter Kraft malte Basilius dem jungen Arzt ein Kreuz auf die Stirn, ehe er seine Augen für immer schloss.
    Behutsam faltete Johannes die Hände des alten Mannes zum Gebet. Er gab ihm seine Stimme und betete für Basilius ein Paternoster und ein Ave-Maria, ehe er den Leichnam in ein sauberes Leinen bettete. Obwohl alle
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