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See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)

See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)

Titel: See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jenna Aaron
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gar nicht damit rechnete, blitzen die Bilder manchmal in ihren Gedanken auf.
    Sie schloss die Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Für ein paar Momente erlebte sie noch einmal den Abend, an dem sie Joanna gefunden hatte. Es waren allerdings immer nur Bruchstücke. Vieles dazwischen fehlte einfach, wie bei einem Filmriss.
    So konnte sie sich genau daran erinnern, wie Joanna zwischen den Steinen gelegen hatte. Nicht nur der entsetzliche Anblick, sondern vor allem der Geruch des Bluts ließ sie seitdem nicht los. Sie wusste noch genau, dass Jared nicht dort gewesen war. Aber sie hatte keine Ahnung, ob sie nach ihm gerufen, ihn gesucht hatte. Auch der Rückweg von der Landzunge fehlte in ihrer Erinnerung komplett.
    Irgendwann musste sie zurückgestolpert sein und einen Wagen angehalten haben, der auf der Straße in Richtung Medford unterwegs gewesen war. Man hatte ihr später erzählt, dass es sich um einen Farmer aus Klamath Falls gehandelt hatte. Anscheinend war sie ihm direkt vor das Auto gelaufen und hatte ihn damit zum Anhalten gezwungen. Als sie nur unverständliches Zeug von sich gegeben hatte, war er glücklicherweise geistesgegenwärtig genug gewesen, sofort die Polizei zu verständigen.
    Das Nächste, an das Tess sich erinnerte, war Sheriff Marcks, der sie ununterbrochen mit Fragen bombardiert hatte, während ein Sanitäter fürsorglich eine Decke um ihre Schultern gelegt und ihr heißen Tee eingeflößt hatte. Sie hatte auf der Trage eines Krankenwagens gesessen und mechanisch die Fragen des Sheriffs beantwortet. Unzählige Menschen waren um sie herumgelaufen und die blitzenden Lichter der Streifenwagen und des Krankenwagens hatten sie geblendet. Irgendwann war dann Ellen gekommen und hatte sie tröstend in den Arm genommen.
    Nie würde Tess den Gesichtsausdruck ihrer Tante vergessen, eine Mischung aus Erleichterung, Sorge und nackter Angst. Immer wieder hatte sie nach Jared gefragt, aber Tess hatte nur stumm den Kopf geschüttelt. Sie wusste nicht, was mit ihm passiert war.
    Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Jared blieb seit diesem Abend spurlos verschwunden.
    Ohne es selbst zu bemerken, wischte sich Tess eine Träne von der Wange. In Gedanken ging sie noch einmal Schritt für Schritt die Ereignisse dieses Abends durch. Jedes Detail klopfte sie auf seine Bedeutung ab. War ihr irgendetwas entgangen? Irgendeine Kleinigkeit, die sie nicht beachtet hatte, die aber wichtig war? Die vielleicht endlich die Frage beantwortete, wo Jared war?
    Doch so sehr sich Tess auch anstrengte, ihr fiel nichts Neues ein.
    Sie schüttelte den Kopf. »Wie sollte es auch, nach so vielen Jahren?«, sagte sie laut zu sich selbst.
    Sie versuchte, an etwas Anderes zu denken. Das gemeinsame Foto von Jared und ihr hängte sie wieder an die Wand. Stattdessen betrachtete sie eines, das sie zusammen mit ihrer Freundin Kate zeigte. Auf dem Bild waren sie sechs oder sieben Jahre alt. Sie hatten sich mit Tüchern, alten Hüten, Ketten aus Holz- und Glasperlen von Tante Ellen und jeweils einem Paar von ihren hochhackigen Schuhen ausstaffiert. Außerdem hatten sie heimlich einen von Ellens Lippenstiften aus dem Badezimmer geholt und sich damit knallrote Kussmünder gemalt. Auf diese Weise hatten sie öfter »feine Dame« gespielt. Die Zahnlücken in ihren grinsenden Gesichtern bildeten einen skurrilen Kontrast zu den rot geschminkten Lippen.
    Tess verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Sie und Kate hatten sich gern verkleidet, selbst als sie schon etwas älter gewesen waren als auf dem Foto. Auch andere Interessen hatten die beiden geteilt. Sie mochten dieselbe Musik, die gleiche Art von Filmen, dieselben Bücher. Sogar ihr Freundeskreis war derselbe gewesen. Allerdings nur bis zu Joannas Tod. Ihre Freundschaft war zerbrochen, als Tess aus Shadow Lake weggezogen war.
    Wieder begannen Tess` Gedanken um den Abend am See zu kreisen. Unwillkürlich fragte sie sich, was sie hätte anders machen müssen, um den Verlauf des Abends zu ändern, sodass der Mord nicht geschehen wäre. Die Antwort war eigentlich ganz einfach: irgendetwas! Jede kleine anders getroffene Entscheidung hätte bewirken können, dass Joanna heute noch am Leben wäre.
    Tess schloss die Augen. Sie wusste genau, dass es zu nichts führte, wenn sie sich selbst quälte, aber sie schaffte es nicht, an etwas Anderes zu denken. Ihr größter Fehler war es vermutlich gewesen, Jared und Joanna allein am See zurückzulassen.
    Hätte ich doch damals nur nicht meine
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