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Second Face

Second Face

Titel: Second Face
Autoren: Carolin Philipps
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Christianisierung gewehrt, hat bevorzugt christliche Priester dem Gott Svantevit geopfert.«
    Gut, denkt Marie. Auch das ist ein Punkt, den sie besser zu Hause nicht erwähnen sollte, wenn die Familie sie nach ihrem Wochenende befragt. Vor allem wenn sie ihnen Lirim vorstellt. Ihre Mutter ist sehr religiös und würde sicher nur ungerne hören, dass die Vorfahren von Lirim christliche Priester geopfert haben, um ihrem Gott zu huldigen.
    Sie selber findet das Ganze sehr spannend, vor allem weil Lirim es erzählt und sie dabei in seine vor Vergnügen funkelnden Augen sieht.
    Erst am späten Nachmittag fahren sie nach Ummanz zurück. Auf dem Hof werden die Pferde gebürstet und mit Wasser und Heu versorgt. Marie arbeitet ganz langsam, um die gemeinsame Zeit mit Lirim auszudehnen.
    »Wenn wir uns beeilen, sind wir bei Sonnenuntergang an unserem Strand«, sagt Lirim auf einmal. »Oder hast du noch was vor heute Abend?«
    Marie schüttelt den Kopf. Und selbst wenn! Für einen weiteren Sonnenuntergang mit Lirim hätte sie jede andere Verabredung sausen lassen.
    Ummanz ist doch die schönste Insel der Welt, denkt Marie, während sie neben Lirim und Triglaw durch die Wiesen läuft. Die untergehende Sonne taucht die Wiesen in ein sanftes Licht. Rehe grasen am Waldrand.
    Gerade noch rechtzeitig kommen sie am Strand an und lassen sich in den warmen Sand fallen. Ein glühend roter Feuerball sinkt langsam hinter Hiddensee ins Meer.
    »Irgendwo dort, wo die Sonne untergeht, liegt ein Schatz im Meer«, erzählt Lirim mit leiser Stimme. »Als die Dänen die Tempelburg Arkona eroberten, suchten sie vergebens nach dem Schatz des Svantevit. Der Oberpriester, so heißt es, hat das ganze Gold und Silber rechtzeitig nach Hiddensee geschafft. Hier bauten die Slawen Svantevit zu Ehren einen neuen Tempel. Aber die Dänen erfuhren davon und setzten in ihren Booten auf die Insel über. Als der Oberpriester sie herankommen hörte, nahm er den Schatz und stürzte sich damit ins Meer.«
    »Glaubst du, dass es stimmt?«
    »Zumindest ein Teil der Geschichte. Jede Sage hat einen wahren Kern und im Tempel von Arkona hatten sie eine Menge Schätze angesammelt. Ein Teil des Goldschmuckes ist bei der großen Sturmflut 1872 an Land gespült worden, der liegt im Museum in Stralsund. Aber eigentlich ist es ja auch egal. Es ist einfach eine schöne Geschichte, wenn die Sonne hinter der Insel untergeht, oder?«
    Er hat recht, Schatz hin, Schatz her, solange Lirim hier im warmen Sand neben ihr liegt, könnte er ihr von allen möglichen und unmöglichen Schätzen der Welt erzählen, sie würde nur seiner Stimme lauschen und ihm alles glauben.
    »Hast du morgen Abend Zeit?«
    Lirim schüttelt den Kopf. »Leider nicht. Morgen habe ich Schicht von fünfzehn Uhr bis Mitternacht. Das ganze Haus voller Schüler. Und dann die ganze Woche bis Freitagnachmittag. Wenn du aus der Schule kommst, fange ich an zu arbeiten. Aber das nächste Wochenende bin ich wieder frei.«
    Marie seufzt leise. Zwischen dem Jetzt und dem nächsten Wochenende liegen fünf ganze lange Tage. Wie soll sie das überleben?
    Der Himmel färbt sich rot, dann wird es langsam dunkel, die ersten Sterne flammen auf.
    »Siehst du den Großen Wagen?«, fragt Lirim auf einmal. »Der zweite Stern in der Deichsel, das ist unser Stern. Jeden Abend werde ich hinaufschauen. Und wenn ich Glück habe, siehst du zur gleichen Zeit hinauf.«
    Die Zeit bleibt stehen.
    Bis Marie ihre Eltern einfallen. Wie spät ist es? Sie sind bestimmt längst zurück und suchen nach ihr. Bestimmt haben sie es wieder auf ihrem Handy versucht. Marie muss grinsen. Dieser Strandabschnitt ist handyfreie Zone. Keine Verbindung, wird sie sagen. Wenn es Ärger gibt, dann gibt es ihn eben. Es ist ihr so was von egal! Sie wird die letzten kostbaren Minuten mit Lirim bestimmt nicht damit verschwenden, sich über möglichen Ärger mit ihren Eltern zu sorgen.
    Langsam gehen sie zurück, vorsichtig berührt Lirim mit seinem Zeigefinger Maries Finger. Sie hält ganz still. Dann hat er Maries Hand in seiner. Marie hält den Atem an.
    Viel zu schnell sind sie am Reiterhof. Vor dem Tor angekommen legt Lirim seinen Arm um Marie. Er beugt sich zu ihr hinunter. Marie schließt die Augen und hält den Atem an. Sie spürt seine Lippen …
    »Mariiiieeeee! Wo bist du?«
    Die Stimme ihrer Mutter. Noch nie kam sie so ungelegen wie jetzt. Warum nur sind sie schon wieder da?
    Sie hört Lirim leise lachen und öffnet die Augen.
    »Freitag selber Ort, kurz vor
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