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Second Face

Second Face

Titel: Second Face
Autoren: Carolin Philipps
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zum Abschied nach. Endlich sind sie weg, und sie hat den ganzen Tag, um sich auf das Wiedersehen mit Lirim zu freuen.
    »Bei Sonnenuntergang an gleicher Stelle!« Damit die Stunden schneller vergehen, beschließt Marie nach Waase zu reiten und schwarze Farbe zu besorgen. Im Stall hat sie zwei geschnitzte, überkreuzte Pferdeköpfe gefunden. Die Farbe ist von Wind und Regen abgeblättert. Sie gehören traditionell an den Giebel des Bauernhauses und sollen das Haus und alle Bewohner vor Unheil beschützen.
    Marie hat beschlossen, die Köpfe mit frischer Farbe zu versehen und dann mit Svens Hilfe am Giebel ihres Hauses anzubringen. Ein wenig Schutz kann nicht schaden. Die Mutter hat zwar für diesen »heidnischen Blödsinn« nichts übrig, aber der Vater findet die Idee nicht schlecht. »Wenn es nicht hilft, tut es ja keinem weh.«
    Sie reitet über die Wald- und Wiesenwege, die Anne so hasst, die ihr aber von ihren Ausritten längst vertraut geworden sind. Sie mag die Insel, auch wenn sie sich ein paar mehr Läden wünscht.
    Ihre gerade erwachte Begeisterung wird allerdings auf eine harte Probe gestellt, als sie feststellt, dass in dem einzigen Geschäft in Waase schwarze Farbe nicht zum täglichen Bedarf zählt und also nicht vorhanden ist.
    »Da müssen Sie schon nach Bergen fahren, junges Fräulein«, sagt der freundliche Herr. »Da gibt es einen großen Baumarkt.«
    »Scheiß-Insel!«, murmelt Marie frustriert, dreht sich um und rennt in einen jungen Mann, der zur Tür hereinkommt. »Nicht mal stinknormale schwarze Farbe gibt es hier am Ende der Welt.«
    »Wenn du nur schwarze Farbe brauchst, die haben wir literweise im Jugenddorf.« Sie schaut in das lachende Gesicht von Lirim.
    »Ist ja schön für euch. Aber was hab ich davon?« Marie beißt sich erschrocken auf die Lippen. So pampig ist sonst nur Anne.
    Zum Glück ist Lirim durch seine Arbeit mit den nervigen Schülern offenbar immun gegen schlechte Laune. Er freut sich einfach nur, sie so unerwartet getroffen zu haben. »Ich könnte dir zum Beispiel was abgeben. Wofür brauchst du die Farbe denn?«
    »Für unsere Pferdeköpfe, also die aus Holz. Ich hab im Schuppen bei uns so ein Teil gefunden. Total ausgebleicht. Es bringt Glück, wenn sie am Haus sind. Und Glück können wir grad ’ne Menge gebrauchen.«
    Marie folgt Lirim nach draußen. Neben ihrem Svantevit steht ein brauner Haflinger mit einer wunderschönen langen weißen Mähne.
    »Ist das dein Pferd?«
    »Es ist eigentlich ein Familienpferd, aber meine Eltern haben keine Zeit. Also kümmere ich mich um Triglaw.«
    »Triglaw? Dein Pferd sieht aber gar nicht wie ein Kriegsgott aus.«
    Lirim schaut sie verblüfft an. »Ich dachte, du bist nicht von der Insel?«
    »Mein Pferd hat auch einen slawischen Götternamen: Svantevit, der …«
    »… höchste Gott der Rügenslawen«, ergänzt Lirim. »Wie bist du denn auf die Idee gekommen?«
    »Das Pferd hieß schon so, als wir es kauften. Und ich dachte, es hat sich an seinen Namen schon gewöhnt. Darum …«
    Marie schaut Lirim von der Seite an. Sie fürchtet, dass er sie auslachen könnte. So wie Anne es getan hat: »Dem Pferd ist das doch egal. Mir muss der Name gefallen und Perun finde ich total ätzend.« Also hat sie ihr Pferd in »Filou« umgetauft und wäre wohl sehr sauer, wenn sie wüsste, dass Marie es nach wie vor bei seinem alten Namen ruft.
    Lirim lacht nicht.
    Nebeneinander reiten sie aus dem Ort hinaus durch die Felder bis zum Jugenddorf, das ganz in der Nähe des Reiterhofes liegt. Im Keller findet sich tatsächlich eine halb volle Dose mit schwarzer Lackfarbe. Nicht ganz das, was Marie ursprünglich gesucht hat, aber der nächste Baumarkt ist in Bergen und da kommt sie heute nicht mehr hin.
    »Bis zum Sonnenuntergang!«, ruft er hinter ihr her.
    Sie winkt ihm zu und galoppiert zum Hof zurück. Bis zum Sonnenuntergang! ... Bis zum Sonnenuntergang! In ihrem Kopf führen die Worte einen wilden Tanz auf.
    Diesmal kommt er nicht aus dem Wasser. Er wartet am Ufer neben einem riesigen Picknickkorb.
    »Hast du schon gegessen?«
    Marie schüttelt den Kopf. Sie hat vor Aufregung nicht ans Essen gedacht.
    »Umso besser!«, sagt Lirim. »Dann hab ich das alles nicht umsonst mitgehen lassen.«
    Und dann sitzen sie bei Würstchen, Salat, Baguette und Traubensaft und schauen auf die Sonne, die langsam im Meer verschwindet. Noch nie war der Sonnenuntergang so wunderschön, die Sonne so rot, das Meer so blau.
    Mittendrin klingelt ihr Handy. Marie schaut auf
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