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SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

Titel: SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Autoren: Steven Erikson
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Sengar geschlungen, Hand- und Fußschellen um seine Handgelenke und Knöchel gelegt und festgehämmert. Ein beschlagener Gurt wurde schmerzhaft eng um seine Taille gezurrt, die Ketten wurden durch eiserne Schlaufen geführt und dann straff angezogen, um ihn neben einem eisernen Ring festzubinden. Ein mit Scharnieren versehener, aufklappbarer Spanner wurde an seinem Kiefer befestigt, sein Mund gewaltsam geöffnet, die Platte hineingeschoben und über seiner Zunge arretiert.
    Dann folgte das Scheren. Ein Dolch beschrieb einen Kreis auf seiner Stirn, gefolgt von einem groben Schnitt, um den Kreis zu brechen. Die Messerspitze drang dabei so tief ein, dass sie seinen Knochen ankratzte. Asche wurde in seine Wunden gerieben. Sein langer Zopf wurde mit groben Schnitten, die aus seinem Nacken eine blutige Masse machten, abgesäbelt. Dann wurde eine dickflüssige, widerliche Salbe in die ihm noch verbliebenen Haare geschmiert und in seine Kopfhaut einmassiert. Binnen weniger Stunden würden ihm auch die restlichen Haare noch ausfallen, und er würde für immer kahl bleiben.
    Das Scheren war etwas Absolutes, ein unwiderruflicher Akt der Trennung. Er war jetzt ein Ausgestoßener. Für seine Brüder hatte er aufgehört zu existieren. Er würde nicht betrauert werden. Seine Taten würden genau wie sein Name aus der Erinnerung getilgt werden. Seine Mutter und sein Vater würden einfach ein Kind weniger zur Welt gebracht haben. Bei seinem Volk war dies die grässlichste aller Strafen – weit schlimmer als eine Hinrichtung.
    Doch Trull Sengar hatte kein Verbrechen begangen.
    So weit ist es nun also mit uns gekommen.
    Sie standen über ihm, begriffen vielleicht erst jetzt, was sie getan hatten.
    Eine vertraute Stimme brach das Schweigen. »Wir werden jetzt von ihm sprechen, und wenn wir diesen Ort verlassen, wird er aufgehört haben, unser Bruder zu sein.«
    »Wir werden jetzt von ihm sprechen«, intonierten die anderen, und dann fügte einer von ihnen hinzu: »Er hat dich verraten.«
    Die erste Stimme war kühl. Der Sprecher ließ sich nichts von seiner hämischen Freude anmerken, die er, wie Trull Sengar wusste, wohl empfand. »Du sagst, er hat mich verraten.«
    »Das hat er, Bruder.«
    »Welchen Beweis hast du dafür?«
    »Seine eigenen Worte.«
    »Bist nur du es, der behauptet, solch Worte des Verrats gehört zu haben?«
    »Nein, auch ich habe es gehört, Bruder.«
    »Und ich.«
    »Und was hat unser Bruder zu euch gesagt?«
    »Er hat gesagt, dass du dich von uns abgewandt hast.«
    »Dass du nun einem verborgenen Herrn dienst.«
    »Dass dein Ehrgeiz uns allen den Tod bringen wird – «
    »Unserem ganzen Volk.«
    »Dann hat er also gegen mich gesprochen.«
    »Das hat er.«
    »Mit seinen eigenen Worten hat er mich angeklagt, unser Volk zu verraten.«
    »Das hat er.«
    »Und – habe ich das getan? Lasst uns über diese Vorwürfe nachdenken. Die Südlande stehen in Flammen. Die Armeen der Feinde sind geflohen. Die Feinde knien jetzt vor uns und betteln darum, unsere Sklaven werden zu dürfen. Aus dem Nichts wurde ein Reich geschmiedet. Und unsere Macht wächst weiter. Aber … um noch stärker zu werden, was müsst ihr, meine Brüder, da tun?«
    »Wir müssen suchen.«
    »Ja. Und wenn ihr findet, was gesucht werden muss?«
    »Müssen wir es übergeben. Dir übergeben, Bruder.«
    »Begreift ihr, wie wichtig das ist?«
    »Ja, das begreifen wir.«
    »Könnt ihr das Opfer ermessen, das ich bringe – für euch, für unser Volk, für unsere Zukunft?«
    »Ja, das können wir.«
    »Doch – sogar als ihr gesucht habt, hat dieser Mann, euer ehemaliger Bruder, gegen mich gesprochen.«
    »Das hat er.«
    »Schlimmer noch, er hat mit seinen Worten die neuen Feinde verteidigt, auf die wir gestoßen waren.«
    »Das hat er. Er hat sie die Reinen Verwandten genannt und gesagt, dass wir sie nicht töten sollten.«
    »Und … wenn sie tatsächlich die Reinen Verwandten gewesen wären, dann …«
    »Wären sie nicht so leicht gestorben.«
    »Also?«
    »Er hat dich verraten, Bruder.«
    »Er hat uns alle verraten.«
    Es wurde still. Oh, jetzt möchtest du sie alle an deinem Verbrechen teilhaben lassen. Und sie zögern.
    »Er hat uns alle verraten – das hat er doch, Brüder?«
    »Ja.« Das Wort kam rau, leise und undeutlich – ein Chor aus Unsicherheit und Zweifel.
    Längere Zeit sprach niemand ein Wort. Dann, wild, mit kaum gezügelter Wut: »Also, Brüder. Sollten wir auf diese Gefahr denn nicht Acht geben? Auf diesen bedrohlichen Verrat, dieses
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