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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel
Autoren: D.G. Compton
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einer anderen Hausfrau, hätte er das Fehlen des Stuhles als bedeutungslos abgetan, als eine bloße Neuanordnung. Aber in Maudie Laznetts Haus, im Haus Winston Schulmans III., standen die vier hochlehnigen alten Stühle um den dazu passenden alten Tisch. Immer.
    Er furchte die Stirn. Wo er den fehlenden Stuhl finden würde, dort würde er auch seine Mutter finden. Er verfolgte diesen Gedanken nicht sehr weit, sondern machte sich an die Suche. Wäre der Stuhl in einem der anderen Räume gewesen, so hätte er ihn bereits bemerkt. Deshalb ging er hinaus auf den Hof und durchsuchte die Nebengebäude. Angelgeräte, ein paar verstaubte Surfbretter, Schnorchel und Flossen für Sporttaucher, Sonnenschirme für den Strand, Golfschläger, Tennisschläger, ein kleines Segelboot, verschiedene Drachen, ein Gartengrill, zwei alte Außenbordmotoren, die verrottenden Überreste einer großen Markise, ein Gestell zum Abbrennen von Feuerwerkskörpern, eine fahrbare Bartheke, ungezählte Klappliegestühle … Der gesamte Freizeitaufwand früherer Schulman-Generationen, aber kein Küchenstuhl. Und keine Maudie.
    Er ging wieder hinüber in die Küche. Statt ihn zu beruhigen, hatte die Vergeblichkeit seiner Suche zu einer Zunahme seiner Besorgnis geführt. Er stützte sich auf den Tisch und versuchte nachzudenken. Wohin konnte seine Mutter gegangen sein, beladen mit einem Stuhl, der keineswegs leicht war? Und wie weit? In den Keller? Wahrscheinlich hatte die Villa einen – die meisten der größeren Häuser auf der Landzunge hatten Keller. Er hatte keine Kellertür gesehen, aber … Sein Blick wanderte langsam durch die Küche.
    Und plötzlich wußte er es.
    Der Vorratskeller der Schulman-Villa war groß, angelegt für einen vielköpfigen Haushalt in einem Raum, welcher in früherer Zeit einmal der Anrichteraum des Butlers gewesen sein mochte. Später hatte man Regale eingebaut, die Wände mit Schutzverkleidungen aus Blei versehen und einen Vorratsraum daraus gemacht. Die eingelagerten Lebensmittel wurden durch eine gleichfalls installierte Anlage zur Gammabestrahlung konserviert. Wie die Vorschriften es verlangten, war die Anlage mit einem Schalter im Mechanismus der Tür gekoppelt; die Tür konnte von innen nicht geschlossen werden, und eine einfache Sicherheitsvorrichtung verhinderte, daß die Gammabestrahlung bei geöffneter Tür eingeschaltet wurde. Unter normalen Bedingungen war die Anlage völlig narrensicher.
    Die Einfachheit der Sicherheitsvorrichtung brachte es jedoch mit sich, daß man sie mit ebenso einfachen Mitteln außer Kraft setzen konnte. Dazu war nicht mehr nötig als ein paar Meter kräftigen Bindfadens, der mit einer Schlinge um die äußere Türklinke gebunden und hineingeführt wurde. Die weiche Gummidichtung der Tür ließ dies ohne weiteres zu.
    Maudie saß mitten im Raum, der Tür gegenüber, die Hände im Schoß gefaltet. Selbst im Tod war ihr Kopf aufrecht, und die weit geöffneten Augen blickten ihn in starrer Ruhe an. Pete hatte die Tür behutsam geöffnet, und das Ende der Schnur lag noch auf ihren Knien. Die Regale ringsum waren fast leer. Sie und Scudder hatten wenig an Langzeitvorräten benötigt. Ein paar Kartons Milch, einige Dutzend Eier, frisches Gemüse, Butter und Käse, ein paar Portionen Fleisch … und vier Makrelen auf einem Regal in der Ecke; ihre Schuppen glänzten matt im kalten Schein der Leuchtstoffröhre.
    Pete stand in der offenen Tür. Er versuchte es mit Lachen. Er versuchte es mit Zorn. Er versuchte es mit Kummer. Nichts paßte. Wenigstens hatte seine Mutter es sich bequem gemacht.
    Er starrte sie an. Warum? Um Himmels willen, warum? Eine letzte Geste des Trotzes gegen ihn, der sie als erster finden mußte? Theatralisch genug war es, ohne Zweifel. Aber Maudie hatte letzte Gesten nicht nötig gehabt. Die trotzige Herausforderung, die sie ihm und der ganzen Welt entgegengebracht hatte, war eine Lebenseinstellung gewesen. Sie hatte sich als eine zielstrebige alte Dame erwiesen.
    Und außerdem mußte sie ihn besser gekannt haben. Denn jede Geste, die gegen ihn hätte wirksam sein sollen, hätte weniger bizarr sein, weniger von schwarzem Humor haben müssen. Allmächtiger Gott, wenn er wollte, könnte er sie für alle Zeit hier drinnen aufbewahren, einfach so … wenn auch weniger ordentlich. Derselbe Stuhl, ein Strick, baumelnde Füße, eine purpurn zwischen den Zähnen hervorquellende Zunge – das hätte das Lächeln aus seinem Gesicht gewischt, das Lächeln, dessen sie ihn immer
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