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Scriptum

Scriptum

Titel: Scriptum
Autoren: Raymond Khoury
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und blieb an dem gefiederten Pfeil hängen, der seitlich aus seinem Brustkorb
     hervorstak. Der Großmeister hielt den Schaft mit einer Hand umfasst. Mit der anderen winkte er Aimard heran, der auf ihn zutrat,
     neben ihm niederkniete und sie mit beiden Händen umschloss.
    «Es ist an der Zeit», sprach der alte Mann mit vor Schmerz geschwächter, aber klarer Stimme. «Geht jetzt. Und möge Gott mit
     euch sein.»
    Martin nahm die Worte kaum wahr. Seine Aufmerksamkeit galt etwas anderem: Die Zunge des Großmeisters hatte sich schwarz verfärbt.
     Ein vergifteter Pfeil   – Martin schnürte es vor Zorn und Hass die Kehle zu. Dieser begnadete Anführer, dieser Ausnahmemensch, der das Leben des jungen
     Ritters seit er denken konnte bis in jede kleinste Einzelheit bestimmt hatte, lag im Sterben.
    Er sah, wie Beaujeu den Blick zu Sevrey hob und kaum wahrnehmbar nickte. Der Marschall ging ans Tischende, wo er unter einer
     Samtdecke ein kleines, reich verziertes Kästchen, kaum drei Hände breit, hervorholte. Martin hatte es nie zuvor gesehen. Mit
     angehaltenem Atem verfolgte er, wie Aimard sich erhob, das Kästchen ernst betrachtete und dann wieder Beaujeu ansah. Der alte
     Mann erwiderte seinen Blick und schloss dann erschöpft die Augen. Sein Atem ging inzwischen rasselnd, ein böses Zeichen. Aimard
     trat auf Sevrey zu und umarmte ihn, dann nahm er das Kästchen vom Tisch und schritt, ohne sich noch einmal umzublicken, hinaus.
     Als er an Martin vorbeikam, sagte er nur ein Wort: «Komm.»
    Martin zögerte, sah rasch zu Beaujeu und dem Marschall hin, der nur nickte. Hastig eilte er Aimard nach und merkteerst nach einiger Zeit, dass sie sich nicht auf den Feind zubewegten.
    Sie waren unterwegs zum Kai der Festung.
    «Wohin gehen wir?», rief er Aimard nach.
    Aimard verlangsamte seinen Schritt nicht. «Die
Faucon du Temple
erwartet uns. Schnell!»
    Martin blieb unvermittelt stehen.
Wir fahren fort?
    Er kannte Aimard de Villiers seit dem Tod seines eigenen Vaters vor fünfzehn Jahren. Auch der war ein Ritter gewesen; bei
     seinem Tod hatte Martin kaum fünf Jahre gezählt. Seither war Aimard sein Beschützer gewesen, sein Lehrmeister. Sein Held.
     In vielen Schlachten hatten sie zusammen gekämpft, und es war nur angemessen, fand Martin, dass sie Seite an Seite stehen
     und zusammen sterben würden, wenn das Ende kam. Aber das hier, das war etwas anderes. Das war   … feige Fahnenflucht.
    Aimard blieb ebenfalls stehen, aber nur, um Martin an der Schulter zu packen und vorwärts zu stoßen. «Los, beeil dich.»
    «Nein!», schrie Martin und stieß Aimards Hand fort.
    «Doch.» Der Tonfall des Älteren war scharf.
    Martin spürte, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Sein Gesicht verfinsterte sich, er rang nach Worten. «Ich werde unsere Brüder
     nicht im Stich lassen», stammelte er. «Niemals!»
    Aimard stieß einen tiefen Seufzer aus und warf einen Blick zurück auf die belagerte Stadt. Flammende Geschosse stiegen am
     Nachthimmel empor und hagelten von allen Seiten auf sie nieder. Das Kästchen an sich gedrückt, drehte er sich um und trat
     an Martin heran, so nah, dass ihre Gesichter kaum eine Handbreit voneinander entfernt waren und Martin sehen konnte, dass
     die Augen des Freundes tränenverhangenwaren. «Meinst du, ich will sie im Stich lassen?», zischte er. «Unseren Meister verlassen? In seiner letzten Stunde? Du solltest
     mich wirklich besser kennen.»
    Martins Verwirrung war grenzenlos. «Aber   … warum dann?»
    «Was wir tun müssen, ist wichtiger, als ein paar mehr von diesen tollwütigen Hunden umzubringen», erwiderte Aimard ernst.
     «Es ist von entscheidender Bedeutung für das Überleben unseres Ordens. Es wird dafür sorgen, dass nicht alles, wofür wir gearbeitet
     haben, hier zugrunde geht. Wir müssen fort. Jetzt.»
    Martin öffnete den Mund, aber Aimards Miene duldete keine Widerrede. Also neigte er knapp, wenn auch widerstrebend, den Kopf
     und folgte dem Älteren.
    Die
Faucon du Temple
war das letzte im Hafen verbliebene Schiff. Die anderen Galeeren hatte man in Sicherheit gebracht, ehe der Angriff der Sarazenen
     eine Woche zuvor den Haupthafen der Stadt abgeschnitten hatte. Das Schiff, das bereits erheblichen Tiefgang hatte, wurde von
     Sklaven, Sergeantbrüdern und Rittern noch immer weiter beladen. Fragen über Fragen schossen Martin durch den Kopf, aber sie
     zu stellen, war nicht die Zeit. Während sie sich dem Kai näherten, fiel sein Blick auf den Kapitän des Schiffs, einen alten
    
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