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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Ekman
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Bibliothek ins Reine. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Vielleicht wollte ich Herman imponieren. Er war denn auch Feuer und Flamme. Und konnte überhaupt nicht verstehen, dass ich die Geschichte nicht einschicken wollte.
    Im Frühjahr 1954 war er mit seinem Examen fertig. Er änderte seinen Namen in Bärenryd und verabschiedete sich von mir. Es war gar keine Frage, dass er nach Hause zurückkehren und heiraten würde. Wir machten Witze, waren aber beide ein wenig gerührt, als wir das letzte Mal miteinander schliefen.
    Drei Wochen nach Hermans Abreise bekam ich von All Världens Berättare ein dickes Kuvert. Es enthielt den Durchschlag der Geschichte, den ich Herman gegeben hatte, und einen Brief von gerade mal einer Zeile:
    »Wir haben von Ihrer Kurzgeschichte Kenntnis genommen und danken für Ihr Interesse.«
    Ich hockte auf der Ottomane, vornübergebeugt, und wartete mit offenem Mund darauf, dass der Schmerz dieser Demütigung vergehen würde. Aber er verging nicht. Er saß direkt über dem Zwerchfell. Als ich endlich meinen Blick unter Kontrolle hatte, stand in seinem Fokus still die Kommode mit dem schwarzen Brandfleck. Drum herum aber flatterte oder wimmelte etwas. Vorhänge, Tapetenmuster.
    Ich war noch nie ernstlich krank gewesen. Phobien und Angstattacken waren mir ebenfalls fremd. Ich verstand nicht, was sich jetzt abspielte. Das heißt, es war als körperlicher Schmerz zu verstehen. Er ging vom Zwerchfell aus und presste mir in kurzen Stößen Luft aus der Kehle und dem offenen Mund. In den Handflächen hatte ich ein Stechen.
    Es wurde nicht besser, als ich mich aufs Bett legte, vielmehr kam noch eine heftige Übelkeit hinzu. Die Zimmerdecke bewegte sich, die Stockflecken, an deren Ähnlichkeit mit Tiergesichtern, Erdteilen und Früchten ich sonst meinen Spaß hatte, sahen jetzt gar nichts mehr ähnlich. Es waren lediglich unruhige Formen aus braunen Streifen mit gekerbten Rändern. Zweifellos eine Art Muster, da sich die gekerbten und bogigen Konturen wiederholten. Doch vollkommen bedeutungslos.
    Im Zimmer war es stickig. Es roch intensiv nach staubigen Vorhängen und schwach nach Plumpsklo. Es war der Geruch meines Lebens.
    Wie war es so weit gekommen? Ich hörte Pferdehufe dumpf die Steigung der Svartbäcksgatan hinauftrampeln und dachte mir, dass das Pferd auf dem Weg zum Schlachthof in Boländerna war. Auf seinen eigenen Beinen.
    Ich ging mit schweren Schritten auf und ab. Nach etwa einer Stunde kam ich mir allmählich lächerlich vor. Ich trank ein wenig Wasser. Davon wurde es auch nicht besser. Ich war in zwei Babbas verwandelt: eine, die vor Schmerz wimmerte und den Brechreiz zu unterdrücken versuchte, und eine, die belustigt die Misshandelte betrachtete.
    Ja, es war eine Misshandlung. Ich nahm den Brief und las den Namen des Redakteurs, der ihn unterschrieben hatte. Uno Florén. Uno Florén. Ich kaute still auf dem Namen herum, aber er sagte mir nichts. Er hatte kein Gesicht, sodass sich meine Gedanken ruckartig weiterbewegten und schließlich bei Herman landeten. Ich sah sein großes, hochrotes Gesicht vor mir, wie er Makkaroni in weißer Soße in sich hineinstopfte. Endlich konnte ich mich übergeben.
    Ich gewöhnte mir an, viel zu Fuß zu gehen. Sobald ich nicht in die Bibliothek musste, zog ich los. Ich ging bis nach Rickomberga, bis zur Kirche von Vaksala oder nach Ulleråker, wo es vorkam, dass ich sehnsüchtig zu den Gitterfenstern der Nervenheilanstalt aufblickte. Mit dem Schlafen hatte ich keine Probleme, im Gegenteil: Ich sank wie bewusstlos in den Schlaf. Wenn ich aufwachte, war der Schmerz so zuverlässig da, als würde einem mit einer Nähnadel ins freiliegende Zahnmark gestochen.
    Uno Florén war ein leerer Fleck, doch Herman Gustafsson konnte ich sehen: Er saß in der Milchbar und schaufelte Nudeln in sich hinein. Ein Stillstand war eingetreten. Den Karteikasten verstaute ich ganz hinten im Schrank, hinter den Koffern. Die Karten waren eine Quelle der Heiterkeit, munterer Bosheit und einer Art aufgeräumter Zärtlichkeit gewesen, die Vermieterinnen ebenso gelten konnte wie einer Plankenwand und Türen aus dem 18. Jahrhundert in Dragarbrunn. Manchmal waren sie berauschend gewesen. Von ihrem giftigen Potenzial hatte ich nichts geahnt. Jetzt waren sie explodiert wie Kreosot in einem entzündeten Zahn.
    Natürlich wurde es besser. Der Herbst verging. Die nassen und gedankenleeren Spaziergänge brachten schließlich Linderung. Die Schmerzattacken kamen in immer größeren
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