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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Ekman
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Kapitellen sind speigrün. Ich darf mit dem Manuskript nicht ohnmächtig werden, denkt sie, nicht mal schwanken. Sie starrt auf den Fußboden, doch auch das Linoleum ist grün. Überall trotten Leute mit Bücherlasten herum. Nirgends kann sie in Ruhe sitzen, denn auch auf die Galerien kann sie nicht. Dort ist es zu eng, und es gibt nur Leseplatten für die Ahnentafeln des schwedischen Adels oder die Biografien der Geistlichen des Bistums Skara. Ganz oben in dem engen Gang mit den Schriften der Akademie für Schöne Literatur, Geschichte und Altertümer, wo lediglich ein mickriges Geländer sie von der Tiefe trennt, wird ihr normalerweise schwindlig.
    Da kommt ihr die Idee, die breite und sichere Treppe mit dem starken Staketengeländer im Forschungssaal zur Galerie hinaufzugehen. Dort setzt sie sich an einen Tisch, die Konkordanz der Werke Vilhelm Ekelunds im Rücken. Deren Nähe beruhigt natürlich nicht recht, aber sie braucht wenigstens keinen der vier dicken Bände aufzuschlagen. Hier ist sie allein. Unten sitzen die Forscher bei Leselampen mit grünen Glasschirmen, und über ihnen und unter ihr leuchten weiße Lichtkugeln.

Orgasmus Ablehnung
    Ich schrieb auf Karteikarten, die ich aus der Bibliothek mit nach Hause nahm. Oben gab es ausreichend Raum für eine Überschrift, darunter waren zwei rote Linien und anschließend weitere in Grauschwarz. Auf einer Karte hatten zweiundzwanzig Zeilen Platz, wenn man beide Seiten beschrieb. Die Gestaltung der Karten bestimmte das Format dessen, was ich schrieb. In gewisser Weise bestimmte sie auch den Inhalt. Erzählungen hatten auf den Karten keinen Platz. Ich schrieb mit Füller und Tinte, und die Karten verwahrte ich in einem Karteikasten mit alphabetischem Register.
    Die Kurzgeschichte über den Messermord an Lucia hatte ich mir auf Spaziergängen ausgedacht, wobei ich kaum wusste, wo ich war. Ich fühlte mich wie in einem Rausch, der ebenso gut von Drogen hätte herrühren können. Mit List und Mühe hatte ich die Erzählung auf der Underwood der Bibliothek getippt, ständig gewärtig, dass der Stadtbibliothekar auf mich herabstoßen konnte. Zur Ausarbeitung hatte ich vier Karten aus dem Kasten benutzt. Sie trugen die Überschriften Die Spirelladame , Die Lucia des Männerchors , Kussechter Lippenstift und Pathologie . Die letzte Karte hatte ich beschrieben, nachdem ich mit einem Kommilitonen, der Arzt geworden war, dem Anatomischen Institut einen Sonntagsbesuch abgestattet hatte.
    Um Die Spirelladame einbauen zu können, hatte ich mein Konzept geändert. Ich entdeckte, dass ich unter den Karten Lieblinge hatte, das Kurzgeschichtenschreiben führte aber auch zu Ausschuss. Abstrakte Überlegungen und lyrische Impressionen waren nicht sonderlich brauchbar und konnten nach einiger Zeit im Karteikasten schal wirken. Tatsachenbeschreibungen und Anekdoten aus Kramfors und der Stadtbibliothek hielten meistens stand, aber auch pure Bosheiten, Wutausbrüche und nächtliche Träume, sofern sie nicht zu verworren waren.
    1951 hatte ich einen Volksschullehrer namens Herman Gustafsson kennengelernt. Er absolvierte ein Aufbaustudium in Geschichte, bezog aber weiter einen Teil seines Lehrergehalts. Er hatte bereits Literaturgeschichte und Nordische Sprachen studiert und wollte nun den Magister machen, nicht um Studienrat zu werden, sondern um sich auf eine Rektorenstelle zu bewerben. Hermans Pläne hatten nichts Vages oder Verträumtes an sich. Er wollte das erreichen, was er sich vorgenommen hatte.
    Er lieh sich viel in der Stadtbibliothek aus und gestand, dass er sich dort wohler fühlte als in der Universitätsbibliothek Carolina Rediviva. Als er mitbekam, dass ich studierte Philologin und Bibliothekarin war, wurde er verlegen, was eigentlich nicht seine Art war. Er hatte mich für eine Ausleihhilfe gehalten. Von da an aßen wir manchmal in der Milchbar am Fyris Torg gemeinsam zu Mittag. Ich sagte, er könne Babba zu mir sagen, so habe man mich nämlich zu Hause und in der Schule genannt. Niemand sagte Barbro zu mir. Anfangs hatte er mich, dem Namensschild auf der Informationstheke entsprechend, mit Fräulein Andersson angesprochen.
    Herman war groß und korpulent. Er hatte Hängebacken und eng stehende Augen. Frisch vom Friseur, war sein graublondes Haar auf dem ganzen Kopf einen halben Zentimeter lang. Diese Igelschnitt genannte Frisur war über Filme der Besatzungsmächte in Deutschland Mode geworden. Im Verein mit seinem stämmigen Körper, seinen massigen Schenkeln und
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