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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord
Autoren: Tess Gerritsen
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aber die ganze Zeit über hatte sie unentwegt an ihn denken müssen. Will ich wirklich wissen, wer er ist? Sie hatte sich immer noch nicht entschieden. Auch als sie von ihrem Schreibtisch aufstand, ihre Handtasche umhängte und einen Stapel Akten unter den Arm klemmte, war sie sich ihrer Antwort noch nicht sicher.
    Wieder läutete das Telefon; wieder ignorierte sie es.
    Sie ging den stillen Flur entlang, vorbei an geschlossenen Türen und verlassenen Büros. Und sie erinnerte sich an einen anderen Abend, als sie auch als Letzte das leere Gebäude verlassen hatte und diese Kratzspuren an der Tür ihres Wagens vorgefunden hatte. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen.
    Aber jetzt ist er weg. Die Bestie ist tot.
    Sie trat aus der Hintertür hinaus in die sommerlich milde Abendluft. Unter der Außenlampe blieb sie stehen und ließ ihren Blick über den dämmrigen Parkplatz schweifen. Angezogen vom hellen Lichtschein, kreisten Motten um die Lampe, und sie hörte ihre Flügel gegen die Glühbirne schlagen. Und dann ein anderes Geräusch: Das Schlagen einer Autotür. Eine Silhouette bewegte sich auf sie zu, nahm erkennbare Gestalt an, als sie in den Lichtkegel der Lampe trat.
    Maura seufzte erleichtert auf, als sie sah, dass es Ballard war. »Haben Sie auf mich gewartet?«
    »Ich habe Ihren Wagen auf dem Parkplatz gesehen. Ich habe versucht, Sie anzurufen.«
    »Nach fünf lasse ich es auf den Anrufbeantworter gehen.«
    »Sie sind auch nicht an Ihr Handy gegangen.«
    »Ich habe es ausgeschaltet. Sie müssen nicht ständig nach mir sehen. Mir geht’s gut, Rick.«
    »Wirklich?«

    Sie seufzte, als sie zusammen zu ihrem Wagen gingen, und blickte zu den Sternen auf, deren Schein von den Lichtern der Großstadt getrübt war. »Ich muss mich entscheiden, was ich wegen der DNA unternehmen will. Ich weiß nicht, ob ich wirklich die Wahrheit erfahren will.«
    »Dann lassen Sie es sein. Es ist nicht wichtig, ob Sie mit ihnen verwandt sind. Amalthea hat nichts damit zu tun, was für ein Mensch Sie sind.«
    »Das hätte ich vorher auch gesagt.« Bevor ich erfahren habe, wer meine Verwandtschaft ist. Bevor ich wusste, dass ich einer Familie von Monstern entstamme.
    »Das Böse ist nicht erblich.«
    »Trotzdem ist es kein sehr angenehmes Gefühl, zu wissen, dass ich möglicherweise ein paar Massenmörder in der Familie habe.«
    Sie entriegelte ihren Wagen und setzte sich ans Steuer. Sie hatte gerade den Schlüssel in die Zündung gesteckt, als Ballard sich zum Fenster herunterbeugte.
    »Maura«, sagte er. »Gehen Sie mit mir essen.«
    Sie schwieg, mied seinen Blick. Starrte nur auf den grünlichen Schimmer der Armaturenbeleuchtung, während sie über seine Einladung nachdachte.
    »Gestern Abend«, sagte er, »haben Sie mir eine Frage gestellt. Sie wollten wissen, ob ich mich auch für Sie interessieren würde, wenn ich Ihre Schwester nie geliebt hätte. Ich glaube, Sie haben mir meine Antwort nicht abgenommen.«
    Sie drehte sich zu ihm um. »Ich kann es doch gar nicht wirklich wissen, oder? Denn Sie haben sie geliebt.«
    »Dann geben Sie mir die Chance, Sie wirklich kennen zu lernen. Ich habe es mir doch nicht nur eingebildet, dort oben im Wald. Sie haben es gespürt, ich habe es gespürt. Da war etwas zwischen uns.« Er lehnte sich noch weiter zu ihr herein. Und sagte leise: »Es ist doch nur ein Essen, Maura.«
    Sie dachte an die vielen Stunden, die sie heute in diesem sterilen Gebäude gearbeitet hatte, mit den Toten als einziger
Gesellschaft. Heute Abend will ich nicht allein sein, dachte sie. Ich will unter lebenden Menschen sein.
    »Chinatown ist gleich hier in der Nähe«, sagte sie. »Lassen Sie uns doch dorthin gehen.«
    Er setzte sich neben sie auf den Beifahrersitz, und ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Das Licht der Parkplatzlaterne fiel auf sein Gesicht, tauchte es zur Hälfte in Schatten. Er hob die Hand, berührte zart ihre Wange. Dann legte er den Arm um sie, wollte sie näher zu sich ziehen, doch sie schmiegte sich bereits an seine Brust, bereit, ihm auf halbem Weg entgegenzukommen. Mehr als das. Sein Mund fand den ihren, sie hörte sich seufzen. Spürte, wie er sie in die Wärme seiner Umarmung zog.
    Die Explosion erschütterte sie bis ins Mark.
    Sie zuckte zusammen, als das Fenster auf Ricks Seite zersprang, als Glassplitter auf ihrer Wange prickelten. Sie schlug die Augen auf und starrte ihn an. Oder vielmehr das, was von seinem Gesicht übrig war – eine einzige blutige Masse. Langsam sackte sein
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