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Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht
Autoren: Masako Togawa
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hintereinander.«
    »Kannst du dich daran erinnern?« wandte er sich an seinen Partner, einen wesentlich jüngeren Mann mit einer Menge Pomade im Haar.
    »Was weiß denn ich.« Dem Gitarristen schien die Situation ganz und gar nicht zu behagen.
    Da stand sie abrupt auf und wies in eine Ecke des Raumes. Sie wirkte wie ein Staatsanwalt vor Gericht.
    »Es war da drüben. Dort hat ein Mann gesessen und sich dieses Stück gewünscht. Denken Sie nach! Er sah ein bißchen ausländisch aus — hatte sehr scharfe Gesichtszüge. Sie müssen sich an ihn erinnern, er sah außerordentlich gut aus.«
    Die beiden Musiker waren verblüfft. Sie starrten sie verständnislos an, aber sie fuhr fort, ohne sich irritieren zu lassen: »Er hat hier unten gesungen. Und oben stand ein junges Mädchen. Sie fiel in den Gesang ein, kam nach dem ersten Duett runter, und dann sangen sie das Lied noch einmal gemeinsam. Sie müssen sich doch daran erinnern! Denken Sie nach!«
    Der Alte bemühte sich nach Kräften, doch sein Partner wirkte lediglich gelangweilt.
    »Eine unvergeßliche Stimme«, bohrte sie nach. »Ungewöhnlich tief, keinesfalls typisch japanisch. Strengen sie sich an und erinnern Sie sich. Ich spreche von einem Mann mit tiefer Bassstimme. «
    »Ach«, sagte der Alte erleichtert, »Sie meinen Herrn Honda. Ja, das muß er sein. Hab' ihn in letzter Zeit nicht mehr gesehen.«
    »Womit verdient er denn seinen Lebensunterhalt, dieser Herr Honda?«
    »Oh, das weiß ich wirklich nicht. Wissen Sie, ich nenne alle meine Kunden entweder >Professor< oder >Präsident< und denk' nicht weiter darüber nach. Ihn hab' ich immer >Professor< genannt, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Er singt sehr gern und hat eine gute Stimme. Ich glaub', er hat mir mal erzählt, daß er auf dem College Chorleiter war.«
    »Und welche Universität war das?«
    »Sekunde... A.B.C. — kann das sein? Nein, nicht ganz, aber irgendwas in der Art. Drei Buchstaben. Vielleicht war es nicht mal in Japan, sondern in Übersee, bei dem Namen.«
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
    »Wenn ich's mir so recht überlege, muß es schon eine ganze Weile her sein. Er verkehrte mal regelmäßig in den hiesigen Bars, aber jetzt nicht mehr. Ist wohl in eine andere Gegend gezogen.«
    Die Frau wirkte enttäuscht, öffnete aber trotzdem ihre Handtasche und zog einen 1000-Yen-Schein heraus. Sie überreichte ihn mit den Worten: »Bitte sagen Sie mir, ob es hier in der Nähe noch andere Bars gibt, wo er öfters war.«
    »Andere Bars? Doch, da waren ein oder zwei ... lassen Sie mich überlegen.« Nach einer kurzen Gedankenpause leierte er die Namen mehrerer Bars herunter. Die Frau hielt alle sorgfältig in einem Notizbuch fest und ging dann.
    »Wird schon in Ordnung gehen, daß wir ihr das erzählt haben«, sagte der Alte.
    »Glaubst du, sie ist vielleicht hinter dem Professor her?«
    »Ja, aber ich glaub' nicht, daß wir uns Sorgen machen müssen. Schließlich hat alles gestimmt, was ich über ihn gesagt hab', und es war ja auch nichts Schlechtes dabei. Sie sah gar nicht wie eine Polizistin aus.« Er schob den Geldschein in seine Tasche. »Hauptsache, sie hat uns gut bezahlt.«
    Von diesem Zeitpunkt an erkundigte sich der alte Knabe jedesmal nach der sonderbaren Frau, wenn er in einer der Bars spielte, die er ihr genannt hatte — immer ohne Erfolg.
    »Nie gesehen? Eine, die nach dem Professor fragt? Dem Typ mit der tiefen Bassstimme?« Die Antwort lautete stets nein.
    »War schon ein komischer Vogel. Wir haben jedenfalls unser Bestes getan, ihr zu helfen. Trotzdem würd' ich gern wissen, was sie vorhat.« Er zermarterte sich das Hirn, aber ohne Erfolg. »Tja, so ist wohl das Leben. Heute sind die Leute da, morgen sind sie wieder weg. Die Menschen sind wie der Wind. Kommen und trinken eine Zeitlang immer am selben Ort, dann verschwinden sie spurlos. Wenn man sich's genau überlegt, passiert das ständig.«
    »Ja ja«, pflichtete sein junger Kollege philosophisch bei, »so geht es im Showgeschäft eben zu. Wirklich ein riskantes Gewerbe, wenn die Kunden kommen und gehen.«
    Dabei beließen sie es. Nach einer Weile hatten sie die Frau mit dem Leberfleck an der Nase vollkommen vergessen.

2
    Die Asia Moral University befindet sich auf einem Hügel vor den Toren Tokios; man erreicht sie am besten durch eine fünfzehnminütige Busfahrt von der Station K der Chuo-Linie aus. Die Universität wird allgemein A.M.U. genannt.
    Sie liegt inmitten eines großzügig angelegten Geländes im Waldgebiet der
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