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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben
Autoren: Freda Wolff
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Ich bin es, Julia. Marie, komm zu dir, mach die Augen auf, sag irgendetwas!«
    Ein Stöhnen kam aus Maries Mund, ihre Augen flackertenwieder, dann irrte ihr Blick voller Panik hin und her, ohne irgendetwas zu erfassen.
    »Es wird alles gut, Marie, du bist bald in Sicherheit, ich bin bei dir! Hallo, Marie, hörst du mich?«
    »Julia?«, kam es so leise von Marie, dass Julia mehr ihren Namen ahnte, als dass sie ihn verstand. »Wo bin ich? Was ist passiert? Wieso …« Sie stöhnte. »Es tut so weh! Und mir ist schlecht …«
    Sie versuchte, nach ihrem Hinterkopf zu tasten.
    »Nicht«, sagte Julia und hielt ihre Hand fest. »Du bist verletzt. Aber du lebst, Marie! Es wird alles gut, das verspreche ich dir, ich bin ja jetzt da.«
    Maries Blick wurde klarer, gleich darauf weiteten sich ihre Augen vor Angst. Sie erinnerte sich wieder!
    »Er hat mich niedergeschlagen! Er hat eine Holzlatte genommen und … er wollte mich töten!«
    »Aber jetzt bist du in Sicherheit«, versuchte Julia sie zu beruhigen. »Du musst keine Angst mehr haben. Er kann dir nichts mehr tun, er ist weg!«
    »Ich habe versucht …« Ihre Stimme brach ab, dann fing sie an zu weinen. »Er wollte dich auch umbringen«, stieß sie schluchzend hervor, »und ich bin schuld daran! Ich wollte doch nur am Leben bleiben, und da habe ich ihn angefleht, dass er mich laufen lässt und dich dafür … hat er dir etwas getan? Hat er dich …«
    »Nein, es ist alles okay. Denk nicht mehr darüber nach. Es ist okay, wirklich! Und es ist alles gut so, wie es gekommen ist, sonst hätte ich dich nie gefunden.«
    »Du bist mir nicht böse? Du bist nicht wütend auf mich? Ich hatte solche Angst und …«
    Ihre Augen rutschten nach oben, bis nur noch das Weißder Augäpfel zu sehen war. Ein Schütteln durchlief ihren Körper.
    »Marie!«, rief Julia. »Komm wieder zu dir, bleib bei mir, mach jetzt keinen Scheiß, hörst du?«
    Sie hielt ihre Wange direkt neben Maries offenen Mund, bis sie den Atem auf ihrer Haut spürte.
    Sie wusste, dass sie Hilfe holen musste. Allein würde sie Marie gar nicht aus der Grube bekommen, geschweige denn irgendwohin, wo es Menschen gab. Und sie hatte auch keine Ahnung, wie schlimm Maries Verletzung war. Sie musste Marie alleine lassen und hoffen, dass sie irgendein Haus fand, von wo sie telefonieren konnte. Und dass es noch rechtzeitig genug war, um Marie zu retten …
    »Marie!«, versuchte sie noch einmal, zu ihrer Freundin durchzudringen, »hör mir zu! Ich hole jetzt Hilfe, es dauert nicht lange, aber du darfst nicht aufgeben, du musst bei Bewusstsein bleiben!«
    Sie schlug Marie mit der offenen Hand auf die Wange. Maries Kopf pendelte willenlos hin und her. Aber sie schien Julia gehört zu haben.
    »Lass mich nicht alleine«, flüsterte sie und tastete mit der Hand nach Julias Arm. »Bitte, geh nicht weg! Bleib bei mir …«
    Julia versuchte, ihre Stimme ganz ruhig klingen zu lassen, obwohl sie innerlich zitterte und kaum in der Lage war, ihre Panik zu verbergen.
    »Pass auf, Marie, ich dreh dich jetzt auf die Seite und schiebe dir meine Jacke unter den Kopf.« Sie zog sich die Jacke aus und rollte sie zusammen. »So, siehst du, es geht doch. Und du bleibst genau so liegen, ich hole Hilfe, ich bin gleich zurück. Denk daran, wie wir als Kinderimmer aufeinander gewartet haben, wenn wir zusammen spielen wollten und eine von uns noch essen oder die Hausaufgaben zu Ende machen musste. Und als ich Windpocken hatte, hast du drei Tage auf mich gewartet! Du durftest mich nicht besuchen, um dich nicht anzustecken, aber du bist jeden Mittag nach der Schule gekommen und hast dich auf die Mauer auf der anderen Straßenseite gesetzt und darauf gewartet, dass ich dir vom Fenster aus zuwinke. Und wir haben uns immer vertraut, weißt du noch, wir haben nie daran gezweifelt, dass wir immer füreinander da sein werden! Also komm jetzt, Marie, vertrau mir, du darfst nicht aufgeben, du willst doch leben, oder? Aber dann tu auch was dafür, versprich mir das, wir haben noch so viel vor uns, was wir unbedingt machen müssen …«
    Julia wusste nicht weiter, sie hatte einfach so vor sich hin geredet und gehofft, dass Marie irgendeine Reaktion zeigen würde, hatte ihr wieder und wieder übers Gesicht gestrichen, ihre Hände geknetet, nach Maries Puls gefühlt, jetzt biss sie sich verzweifelt auf die Unterlippe, bis sie ihr eigenes Blut schmeckte.
    Als sie Maries Flüstern hörte, schreckte sie zusammen.
    »Was? Was hast du gesagt?«
    »Wir müssen noch mal nach
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