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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben
Autoren: Freda Wolff
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Vergangenheit erinnerte, für immer verschwunden.
    Aber erst mal musste er selbst verschwinden. Raus aus dem Land, vielleicht nach Schweden rüber. Es war ärgerlich und frustrierend, dass er seinen Plan nicht zu Ende bringen konnte, aber es ging nicht anders! Er musste sich mit der Vorstellung begnügen, wie die Psycho-Schlampe in den nächsten Wochen, vielleicht sogar Monaten, keine Nacht mehr schlafen würde, ohne von Albträumen aufgeschreckt zu werden und zitternd vor Angst das Tageslicht herbeizusehnen – nur um sich dann schon wieder vor der nächsten Nacht zu fürchten. Genauso wie er es aus eigener Erfahrung nur zu gut kannte!
    Nur mit Mühe konnte er das Gleichgewicht halten, als das Ruderblatt, das er zum Staken benutzte, im zähen Morast steckenblieb und das Boot sich gefährlich zur Seite neigte. Als sich das Ruderblatt mit einem schmatzenden Geräusch löste, bohrte sich ein Holzsplitter tief in seine Handfläche, er fluchte laut. Widerwillig rutschte der Rumpf über den Schlick, die Schilfhalme scheuerten an der Bordwand entlang, Mücken flogen auf und schwirrten um seinen Kopf, eine Möwe setzte kreischend zu einem Sturzflug an und zielte genau auf sein Gesicht. Er duckte sich unwillkürlich, das Kreischen erschien ihm wieder wie Hohngelächter.
    Obwohl ihm der Schweiß über die Wunde an der Stirn lief, war ihm kalt. Vom Meer her kam ein kräftiger Wind, der ihn in seinen durchnässten Klamotten fröstelnd die Schultern hochziehen ließ.
    Mit vor Nässe und Kälte klammen Händen zog er das Boot an den ersten Pfahl und stemmte sich auf den Steg. Dann bückte er sich erneut, um nach dem Tau am Bug zu greifen.
    Im gleichen Moment hörte er das Geräusch hinter sich, aber seine Reaktion kam zu spät, bevor er sich überhaupt noch umblicken konnte, war sie über ihm.
    Der Aufprall war so stark, dass er hilflos nach vorne kippte, ganz kurz sah er ihr verzerrtes Gesicht, wie eine Maske aus Wut und Schmerz, dann griff sie nach seinen Haaren und schlug seinen Kopf mit dem Gesicht nach unten auf das Holz. Einmal, zweimal, er spürte, wie seine Nase brach, mit aller Kraft bäumte er sich auf und schüttelte sie ab, bekam sie an den Schultern zu fassen und wollte sie auf den Boden zwingen.
    Sie rammte ihm ihr Knie zwischen die Beine, als er sich vor Übelkeit zusammenkrümmte, sprang sie auf. Immer noch hatte sie kein Wort gesagt, nur ein heiseres Keuchen kam aus ihrem Mund, sie holte aus und trat ihm mit voller Wucht gegen den verletzten Fuß, der Schmerz explodierte förmlich in ihm, vor seinen Augen flimmerte es, jetzt hatte er wirklich Angst!
    Er wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, um ihn hochzureißen. Er versuchte, sie zu umklammern, wieder trat sie nach seinem Fuß, ihr Gesicht war tränenüberströmt.
    »Was hast du mit ihnen gemacht?«, keuchte sie wütend. »Warum? Sie hatten dir nichts getan, sie waren nur zwei junge Frauen, die nie irgendwas mit dir zu tun hatten, warum mussten sie sterben? Warum, ich will eine Antwort!«
    Gleichzeitig schlug sie ihm die Beine weg, als er nach vorne stolperte und in die Knie ging, stieß sie seinen Oberkörper über die Kante des Stegs.
    Er spürte ihr Gewicht auf seinen Beinen, während sie seinen Kopf mit einem schmerzhaften Griff unter Wasser drückte. Wieder fragte er sich, woher sie die Kraft dazu hatte.
    Er schlug mit den Armen um sich, ohne sie zu treffen. Er hatte kaum noch Luft in den Lungen, er schluckte Wasser, er musste husten, er hatte das Gefühl zu ersticken.
    Als sie seinen Kopf nach oben riss, hörte er sie wieder schreien: »Warum hast du das getan? Sag mir, warum?«
    Er schnappte gierig nach Luft, er wollte sie anflehen, dass sie aufhörte, aber es wurde nur ein heiseres Röcheln, dann schlug schon wieder das Wasser über ihm zusammen.
    Er wehrte sich nicht mehr. Mit aufgerissenen Augen sah er den modrigen Grund unter sich. Schlingpflanzen streiften über sein Gesicht. Und dann war plötzlich seine kleine Schwester da. Direkt vor ihm, die großen Augen dunkel, der Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, die langen Haare wie ein Totenschleier um sie herum. Er versuchte, nach ihr zu greifen, sie durfte nicht sterben, er hatte die Verantwortung für sie! Er musste sie retten, sie aus dem Wasser holen, sie trockenreiben, sie in eine warme Decke hüllen, ihr ein Märchen vorlesen, das Märchen vom Brüderlein und Schwesterlein, das sie so sehr liebte. Und er würde ihr versprechen, sie ganz sicher nie wieder auszulachen, egal, was sie ihm
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