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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter
Autoren: Bruce Sterling
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umgeben von Tod und auf der Jagd nach tödlichen Stürmen, sind wir lebend davongekommen. Wir sind Überlebende, und jetzt sind wir sogar noch einer mehr.«
    Sie packte ihn beim Arm. »Du willst mir was sagen, Alejandro? Also gut. Dann sag mir etwas, das ich wirklich hören will.« Sie zog ihn zum Kinderbettchen. »Sag mir, daß das deine Familie ist, Alex. Sag mir, daß du mir helfen wirst, für ihn zu sorgen, als gehörte er zu deiner Familie.«
    »Klar tut er das. Er ist mein Neffe. Ich bin stolz auf ihn.«
    »Nein, nicht so. Ich meine, ganz ernsthaft. Ich meine, daß du für ihn sorgst, Alex, daß du dich um ihn kümmerst, wenn ich und Jerry tot wären, wenn diese Stadt zerstört wäre und alle krank wären und im Sterben lägen, und das, obwohl du dir persönlich gar nicht so viel aus ihm machst. Aber du kümmerst dich trotzdem um ihn und rettest ihn.«
    »Okay, Janey«, meinte Alex bedächtig. »Das ist nur fair. Das bin ich dir schuldig.«
    »Nein! Kein Geschäft, bitte nein. Mit Geschäft hat das nichts zu tun. Ich will ein wirkliches Versprechen von dir haben, ich möchte, daß du schwörst, damit ich niemals Zweifel zu haben brauche.«
    Er sah sie an. Ihr Gesichtsausdruck war verkniffen, und ihre Augen waren umwölkt, und die Erkenntnis, daß seine Schwester Angst hatte, wirklich Angst hatte, versetzte ihm einen jähen Stich. Juanita hatte richtige Angst kennengelernt und begriff nun, was sie bedeutete. Sie hatte mehr Angst um dieses kleine Bündel im Bettchen, als sie jemals um sich selbst gehabt hatte. Oder um ihre Freunde, ihren Mann oder sonst jemanden. Jetzt war sie eine Geisel des Schicksals. Die verschwitzten kleinen Affenhändchen des Kindes hatten sich um ihre Seele gelegt.
    »Ist gut«, sagte er. Er hob feierlich die rechte Hand. »Juanita Unger Mulcahey, ich verspreche dir, daß ich mich um deinen Sohn und alle deine Kinder kümmern werde. Ich schwöre es beim Grab unserer Mutter. Pe lo juro la tumba de avestra madre.«
    »Das ist gut, Alex.« Sie entspannte sich ein wenig. »So, wie du es gesagt hast, kann ich dir glauben.«
    Von der Vorderseite des Hauses vernahm man Stimmen. Jerry war zurückgekommen.
    Alex ging ins Vorderzimmer, um ihn zu begrüßen.
    »Das ist ja eine nette Überraschung«, dröhnte Jerry. Er schüttelte Alex die Hand.
    Jerry hatte abgenommen. Die Muskelberge an den Schultern waren verschwunden, seine Arme und Beine hatten wieder normalen Umfang, und sein Bauch sah aus wie der Bauch eines Familienvaters in den Dreißigern. Sein Haar war noch schütterer geworden, und an den Wangen war der Bart verschwunden; er hatte jetzt einen professoralen Spitzbart und eine richtige Frisur. Er war mit Hemd, Jackett und Krawatte bekleidet und hatte ein Lederköfferchen in der Hand.
    »Sieht so aus, als hielte man dich ganz schön auf Trab, Jerry.«
    »O ja. Und du?«
    »Ich beschäftige mich jetzt mit Genetik.«
    »Ach. Das ist ja interessant, Alex.«
    »Ich hatte das Gefühl, ich müßte es tun.« Er blickte Jerry fest in die Augen. Vielleicht konnte er jetzt zum erstenmal einen persönlichen Kontakt herstellen. »Weißt du, Jerry, die Genbehandlung hat mich so tiefgreifend verändert, daß ich das einfach verstehen wollte. Ich meine, wirklich begreifen, nicht bloß ein bißchen an der Oberfläche herumkratzen, sondern die Wissenschaft wirklich verstehen. Das ist ein schwieriges Gebiet, aber ich glaube, ich werde die Herausforderung annehmen. Wenn ich hart arbeite, kann ich's auch schaffen.« Er zuckte die Achseln. »Natürlich muß ich erst noch den ganzen Prüfungskram hinter mich bringen.«
    »Stimmt«, sagte Jerry mit klarem Blick und einem mitfühlenden Kopfnicken, »die akademischen Anstandsregeln.« Alles stimmte, und niemand fehlte, es waren keine Gespenster bei diesem Bankett zugegen, keine tiefen, dunklen Geheimnisse, und für den guten alten Schwiegersohn Jerry war das Leben wie es eben ist.
    »Hast du dich in letzter Zeit noch mit Stürmen beschäftigt, Jerry?«
    »Aber sicher doch! Mit dem F-6! Wurde hervorragend dokumentiert. Genug Material für ein ganzes Leben.«
    Jane mischte sich ein. »Niemand hat geglaubt, daß es soweit kommen könnte, obwohl er es immer gesagt hat. Und jetzt versucht er zu erklären, warum es wieder aufgehört hat.«
    »Das ist das eigentliche Problem«, meinte Jerry voller Genugtuung. »Ein ganzer Nexus von Problemen. Nicht trivial.«
    »Der beste Problemnexus, da bin ich mir sicher.«
    Jerry lachte. Nur kurz. »Es freut mich, daß du so guter Dinge
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