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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter
Autoren: Bruce Sterling
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kleinen Flecken kniehohen Unterholzes blieb er stehen und schaute zu Alex hoch. »Läßt du's dir gutgehen?« fragte er.
    Alex faßte sich an die Ohren. »Was hast du gesagt, Leo? Komm näher. Ich bin irgendwie taub. Tut mir leid.«
    Leo kam näher, lehnte sich an den Stamm und blickte wieder hoch. »Hätte ich mir denken können, daß du's dir gut gehen läßt!«
    »Du brauchst nicht mehr zu schreien, es geht schon. Wo ist Juanita?«
    »Dasselbe wollte ich eigentlich dich fragen. Obwohl's dir doch wurscht ist.«
    Alex kniff die Augen zusammen. »Ich weiß, daß du sie abgeholt hast, also verarsch mich nicht. So blöd, ihr was anzutun, bist du doch nicht, oder, Leo? Es sei denn, du willst dich mit uns beiden anlegen.«
    »Ich habe keinen Streit mit Jerry. Nicht mehr. Das ist jetzt alles Vergangenheit. Ich werde Jerry sogar helfen. Das ist die letzte Tat, mit der ich meinem Bruder wirklich helfen kann.« Er holte eine Keramikpistole aus der Jackentasche.
    »Also, das ist ja toll«, höhnte Alex. »Du blödes Arschloch von einem Gespenst! Ich hatte letzte Woche zwei Bronchialblutungen, und da willst du mich erschießen und unter diesem Baum liegenlassen? Du hoffnungsloser Gringo-Idiot, ich habe den F-6 überlebt, ich brauche keinen beschissenen Mörder wie dich! Ich kann wunderbar auch allein sterben. Verschwinde, bevor ich die Geduld verliere!«
    Leo lachte überrascht auf. »Das ist wirklich komisch! Soll ich dich gleich dort oben erschießen, wo es vielleicht schmerzhaft sein könnte, oder willst du lieber runterkommen, damit es effizienter und rascher vonstatten geht?«
    »Ach«, meinte Alex geziert, »ich ziehe es vor, auf möglichst indirekte, unpersönliche und klinische Weise umgebracht zu werden, vielen Dank.«
    »Oh, wenn's um uns beide geht, dann ist es schon persönlich«, versicherte ihm Leo. »Wegen dir konnte ich meinem Bruder nicht persönlich Lebewohl sagen. Ich hätte meinen Bruder wirklich liebend gern gesprochen, weil ich ein paar wichtige persönliche Angelegenheiten mit ihm zu bereden hatte, und ich hätte mühelos an seinem Gefolge vorbeikommen und ihn unter vier Augen sprechen können, aber das hast du verhindert. Und jetzt, bei der ganzen Hetze, ist es zu spät.« Leos Miene verdüsterte sich. »Ich nehme an, das ist kein ausreichender Grund, dich umzubringen; aber dann ist da noch das Geld. Juanita hat kein Geld mehr übrig; wenn du tot bist, bekommt sie deins und Jerry bekommt ihres. Dann wird dein Vermögen in die Umweltforschung investiert, anstatt daß es für den Medikamentenkonsum eines hinfälligen Schwächlings vergeudet wird. Dich zu töten, ist wirklich eine gute Tat. Dadurch wird die Welt ein kleines Bißchen besser.«
    »Das ist wirklich wundervoll«, sagte Alex. »Ich fühle mich ja so geehrt, auf diese Weise zu deinem guten Gewissen beizutragen. Deiner scharfsichtigen Einschätzung meines moralischen und sozialen Werts kann ich nur beipflichten. Dürfte ich noch eine Bemerkung machen, bevor du mich exekutierst? Wäre es genau anders rum, und ich hätte vor, dich zu exekutieren, dann würde ich es ohne Scheißpredigt tun!«
    Leo runzelte die Stirn.
    »Was hast du, Leo? Ein alter Künstler wie du kann es nicht haben, daß der Verurteilte das letzte Wort behält?«
    Leo hob die Pistole. Hinter seinem Kopf richtete sich lautlos eine dünne, schwarze Schlinge auf.
    »Du solltest dich beeilen, Leo! Schieß schon!«
    Leo zielte lächelnd.
    »Zu spät!«
    Das smarte Seil schnappte um seinen Hals zu und riß ihn in die Höhe. Das Genick knackte vernehmlich. Leo schnellte vom Waldboden empor wie eine Marionette an ihren Fäden. Dann, als sich das smarte Seil zischend um den Ast wickelte, roch es nach verbrannter Rinde, und der Körper zappelte heftig. Nach einer Weile kam er zur Ruhe.
     
    Alex brauchte siebenundvierzig Stunden, um von dem zerstörten Wald in Oklahoma bis zum Penthouse seines Vaters in Houston zu gelangen. Rund ums Katastrophengebiet gab es eine Menge bürokratischer Schikanen, aber die Nationalgarde und die Cops konnten ihn nicht am Weitergehen hindern, und sein Geschick wendete sich, als er ein Motorrad fand. Er aß nicht viel. Er schlief kaum. Er hatte Fieber. In der Brust hatte er heftige Schmerzen, und der Tod war nah. Der Tod war nun in greifbare Nähe gerückt, kein romantischer Tod diesmal, nicht der süße, drogenumnebelte, transzendente Tod. Sondern der wirkliche Tod, der Tod von der kalten, altmodischen Art, ein Tod, wie es der Tod seiner Mutter gewesen war,
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