Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
Vom Netzwerk:
zu viel gesehen?«
    Firsov schürzte die Lippen, zuckte mit den Schultern, wackelte mit dem Kopf. Vielleicht hatte sie was gesehen, vielleicht nicht. Er wusste es selbst nicht.
    »Das Risiko, dass die Frau was bemerkt haben könnte, war dir aber zu groß. Deshalb musste sie dran glauben.«
    Der Russe nickte heftig. » Da «, antwortete er in seiner Muttersprache. Ja, so war es. Er hatte keine andere Wahl mehr gehabt, war er überzeugt. Er hatte die Alte töten müssen. Es ging nicht anders. Es war sein Recht, diese schrumplige Alte zu töten. Ja. Es war sein Recht. Sein Recht!
    Firsov richtete sich noch einmal auf, riss Augen und Mund auf, zuckte mit dem Kiefer, als wollte er etwas sagen. Dann wurde ihm endlich bewusst, dass er sich verzockt hatte. Sein Spiel war verloren. Jetzt ging es ans Bezahlen. Er erstarrte. Dann – übergangslos – fiel er in sich zusammen.
    »So, das war’s«, kicherte die alte Amadio und hob vergnügt ihre Schultern. »Jetzt bin ich aber froh.« Sie streckte ihre Fäustchen weit von sich, atmete erleichtert aus. »Danke, Baumi, danke.« Und sie drehte sich, wie sich eine 85-jährige vitale Alte dreht, und stapfte davon. Ihr Körper schwankte bei jedem Schritt ihrer Stummelbeine leicht.
    Baumer hörte sie noch sagen. »Jetzt kann ich endlich schlafen.«

    Schlafen.

    Ewig schlafen.

    Schlafen.

    *
    Baumer und neben ihm Heinzmann waren auf dem Sofa eingenickt. Ermattet von der anstrengenden Aktion auf dem Friedhof in der Nacht zuvor, von Streifendienst und Verhören am Tage. Sie hatten geschlafen, bis Heinzmanns Bein auf dem Glastisch zu schmerzen begann. Da hatte er zucken müssen, dabei Andi angestoßen, der davon erwachte.
    Andi richtete sich mühsam auf. Sein Genick schmerzte. Auch Heinzmann wurde wieder wach, wand sich aus dem Sofa heraus, gähnte so laut, dass die Wände wackelten. Er stellte sich hin. Seine Knie knackten dabei.
    »Kaffee?«, fragte ihn Baumer. Sein Freund nickte und folgte ihm im Halbschlaf und mit schlurfenden Schritten Richtung Küche. Dort setzte er sich an das Küchentischchen, lehnte den Rücken an die Wand, stützte den Ellbogen auf und legte den schweren Kopf auf die Hand.
    Andi bereitete einen Espresso zu. Er benutzte dazu die kleinste Maschine seiner Kollektion, diejenige, welche nur drei Espressi machen würde. Genug Kaffee für beide, um wieder wach zu werden. Zu wenig Koffein aber, um völlig aus dem Tagesrhythmus zu kommen.
    »Was haben sich die Typen nur gedacht?«, murmelte Heinzmann.
    »Welche Typen?«, nuschelte Baumer. Er schlief im Stehen wieder ein.
    »Freundlieb und Firsov. The Swiss and the Russ.«
    »Keine Ahnung«, hätte Baumer antworten können. Er sagte nichts.
    »Ich verstehe nicht, wie man seine Karriere so verzocken kann. Die zwei stehen an der Spitze, werden von allen bewundert, haben Geld wie Heu und wollen doch immer nur mehr.«
    Baumer brummte.
    »Was meinst du? Gibt es noch Mittäter?«, wollte Heinzmann wissen und gähnte erneut.
    »Gut möglich. Die Geschichte wird einigen Staub aufwirbeln. In Russland ist die Kacke bereits am Dampfen. Aber sie haben gleich angefangen aufzuräumen«, antwortete Baumer.
    »Wie es Danner wohl in Russland gehen wird?«, fragte Heinzmann.
    Das fragte sich Baumer auch. Danner war sofort auf die Krim geflogen, nachdem er den ersten Teil seiner Serie zu den Klinikmorden fertiggestellt hatte. Der würde morgen auf Seite 1 gebracht werden. In Russland würde er dann – den Arm immer noch in der Schlinge – weiterrecherchieren und Bilder und Berichte von den Orten, an denen Firsov gewirkt hatte, zurück in seine Redaktion schicken. Die Story um eine Schweizer Klinik, die ohne Wissen der Angehörigen, ja manchmal entgegen den ausdrücklichen Wünschen dieser Menschen, den Toten Gewebe stiehlt, könnte noch lange gemolken werden. Die Arbeit Danners würde zwar nicht ungefährlich sein. Aber der Kommissar war sich sicher, dass der Journalist sich schon zu helfen wissen würde. Ob er sich wohl eine neue alte Brille in Russland kaufen würde? Die letzte war bei der Aktion auf dem Hörnli arg verschrammt. Dennoch würde er sie weiter benutzen, wenn er nicht irgendwo auf einem Flohmarkt tief im russischen Hinterland eine andere Fliegenaugenbrillen fände.
    »Was denkst du?«, machte sich Heinzmann Gedanken. »Gibt es auch hier in Basel noch weitere Täter?«
    »Hhm«, murmelte Baumer, als er die zwei Teile der Espressomaschine, die er zuvor gereinigt und neu mit Kaffeepulver gefüllt hatte, wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher