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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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Tatort von mehreren Zeugen gesehen«, sagte Baumer kühl.
    Anatoli Firsov sah verloren drein. Er sagte nichts. Jetzt war es Baumer, der lächelte. Sein Lächeln zeigte dem Assistenzarzt überdeutlich an, dass das Wasser, in dem er stand, langsam heiße Blasen zu bilden begann.
    »Wissen Sie, Anatoli«, wandte er sich an den Russen. »Unsere Polizei ist hartnäckig und ausdauernd. Sie hat alle Leute dort in den Straßen gefragt, was sie gesehen haben. Dabei ist ein Mann immer wieder aufgetaucht. Er wird beschrieben als etwa 1 Meter 75 groß. Schwarze krause Haare. Platte Knubbelnase. Hohe, breite Backenknochen. Könnte also aus dem Osten stammen. Sollen wir eine Gegenüberstellung machen?«
    Der Assistenzarzt wusste, dass das nicht nötig war, er war nicht dumm. Sehr rasch hatte er seine Situation überschlagen. Er nahm Haltung an, sagte feierlich: »Ja, ich war da. Aber ich habe nur den Wagen gefahren.« Er machte eine Pause, senkte seinen Oberkörper leicht. Dann fügte er an. »Freundlieb hat sie umgebracht.«
    Baumer schaute dem Russen ins Gesicht. Alle Arroganz war daraus verflogen.
    »So? Freundlieb war’s also?«
    Hatte Firsov jetzt die Wahrheit gesagt? War es wirklich der Klinikchef, der die Amadio umgebracht hatte? Ein Profi, ein absoluter Profi, ging es Baumer durch den Kopf.
    »So könnte es tatsächlich gewesen sein, Firsov«, machte Baumer schließlich. Doch zuerst ganz unmerklich, dann immer offensichtlicher lächelte er und blickte seinem Gegenüber direkt ins Gesicht.
    Firsov erbleichte. Er sah in den fast unmerklich zusammengekniffenen Augen des Kommissars, dass dieser ihm nicht glaubte. Der Russe bewegte sich erschreckt nach vorne und schrie: »Der Freundlieb war’s. Glauben mir Sie doch. Er war’s.«
    »Oh, nein, Anatoli, mein Freund«, winkte Baumer sofort ab. »Das kann nicht sein.« Baumer schüttelte milde seinen Kopf, wie zur Entschuldigung, dass er seinem Gefangenen widersprechen musste. Dann schaute er in die Notizen der Zeugenaussagen, die Rötheli mit seinen Männern akribisch zusammengesucht hatte. Eine gute Arbeit, dachte Baumer. Dafür konnte man Rötheli tatsächlich brauchen. Aber Baumer tat nur so, als lese er die Beschreibungen. Er wusste längst, was drin stand. »Nein«, erklärte er schließlich, während er um Verständnis bittend mit der Schulter zuckte und den Kopf zur Seite legte. »Einen hoch aufgeschossenen, älteren Mann mit Halbglatze und Spitzbart (grau, mit schwarzen Strähnen) hat überhaupt niemand in der Nähe des Tatortes gesehen.«
    »Freundlieb. Er war’s«, insistierte Firsov, aber man hörte deutlich, dass er selbst nicht mehr daran glaubte, Baumer könne ihm seine Geschichte abnehmen. Er presste die Kiefer zusammen. In seinen Augen blitzte es und er platzte los. »Sie haben gar nichts. Nichts Sie haben! Freundlieb und ich. Wir hätten beide es sein können. Aber nur einer kann morden. Nur einer zugestochen hat. Der andere muss unschuldig sein. Niemand unschuldig muss in Gefängnis. Wir beide kommen frei.« Er lachte höhnisch, bitter.
    Und Baumer?
    Baumer schürzte den Mund und führte eine Hand an die Lippen. »Hhm … ja, Anatoli. Es hätte sein können. Freundlieb ist – wie Sie – perfekt im Umgang mit medizinischen Werkzeugen. Auch er hätte sicherlich ebenso präzise zustechen können, wie Sie das taten.« Baumer legte die Akten weg und beugte sich hin zum Russen. »Was für ein Werkzeug haben Sie eigentlich benutzt, Firsov? Ein Skalpell, oder war es ein Stachel? Wahrscheinlich ein Stachel, richtig?«
    »Sie haben nichts. Nichts Sie haben! Gar nichts«, schrie Firsov und sprang auf, aber der junge bullige Polizist, der bisher scheinbar unaufmerksam an der Wand neben dem Tisch gestanden hatte, machte eine schnelle Bewegung zu ihm hin und warf ihn grob in seinen Stuhl zurück.
    Baumer stand gemächlich auf und stellte sich auf seine beiden Beine. Er war nicht erstaunt, dass er keinerlei Schmerzen mehr spürte. Er schaute auf den Russen hinunter, der verängstigt zu ihm hochblickte.
    »Du hast Recht, mein Freund. Das alles steht auf schwachen Beinen. Es kommen einige Verdachtsmomente zusammen, sogar ein Motiv. Doch immer noch könnte es so, aber genauso gut anders gewesen sein.« Baumer machte eine Pause, drehte dann eine Hand zu sich und begann gelangweilt seine Fingernägel zu inspizieren. »Aber … hhm«, sagte er, während er mit verächtlich heruntergezogenen Mundwinkeln konzentriert einen einzelnen Nagel betrachtete, »es gibt da ein Puzzleteil,
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