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Schweinehunde / Roman

Schweinehunde / Roman

Titel: Schweinehunde / Roman
Autoren: Lotte & Søren HAMMER
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wieder umgeschlagen war.
    »Ist dein Handy eingeschaltet?«
    »Nein, wir hatten doch abgemacht, dass wir hier ganz für uns sein wollten, weißt du nicht mehr? Warum fragst du?«
    Er stand mit einem letzten langen Blick auf die Schachfiguren im Buch auf, trat ans Fenster und sah zum Horizont. Die wellige Küstenlandschaft entfaltete sich unter ihm in Form von unregelmäßigen, windgepeitschten Anhöhen, manche hell im Licht der Sonne, andere dunkelgrau mit fast schwarzen Rücken, überwuchert von Heckenrose oder festgehalten von Strandhafer. Ganz hinten konnte er das Meer mit seinen glitzernden, weißen Wellenkämmen sehen, und hoch oben am Himmel flog eine Schar Graugänse in Richtung Süden an der Küste entlang. Auf einmal spürte er Anna Mias Arme um sich. Ihr Kopf lehnte sich schwer an seinen Rücken. Ein plötzliches Gefühl von Scham übermannte ihn, als wäre ihre Jugend ein Tabu. Trotzdem blieb er stehen, und nach mehreren nicht enden wollenden Sekunden sagte sie leise: »Du wirst abgeholt, Papa.«
    Erst in diesem Moment sah er es. Ein ekelerregender Fremdkörper kroch langsam den kurvigen Kliffweg empor: ein Polizeiwagen.

[home]
3
    K napp vier Stunden später stand Konrad Simonsen in der Langebæk-Schule in Bagsværd und starrte in den trostlosen Regen. Im Gebüsch hinter dem Spielplatz war ein Hundeführer mit seinem Hund zugange. Er dirigierte das Tier durch Zeichen und Zurufe und lobte es zwischendurch immer wieder. Eine junge Frau, die sich notdürftig eine Plastiktüte um den Kopf gewickelt hatte, schloss sich dem Hundeführer an. Eine Weile beobachtete er die Gesten des Mannes, bis ein Windstoß den Regen gegen die Scheibe warf und ihm das Wasser die Aussicht verwehrte. Er sah den Flur hinunter. Die Wände waren schmutzig gelb, der Putz blätterte ab, und das löcherige Linoleum am Boden erinnerte an die Strecke eines Hindernislaufs. Vereinzelte mehr oder weniger gelungene künstlerische Kreationen schmückten die Wände, ihm am nächsten eine Konstruktion aus verdrehtem Stahldraht und staubigen Coladosen.
    Resigniert sagte er: »Zum Teufel, Comtesse!«
    Die Worte galten der hinter ihm telefonierenden Frau. Er hatte sie ohne Wut ausgesprochen, einfach um aufzuzeigen, wie absurd es war, dass er wie ein Eilpäckchen quer durch das Land hierher geholt worden war, nur um jetzt tatenlos in das triste Oktoberwetter zu starren. Ohne wirklich etwas über die Ermittlungen zu wissen, die er allem Anschein nach leiten sollte – ja, und ohne auch nur eine Idee zu haben, wo er anfangen konnte.
    Die Frau reagierte auf seinen Ausbruch und legte die Hand auf das Telefon.
    »Hallo, Konrad. Schade, das mit deinen Ferien, aber ein paar Tage hattet ihr ja. Ich hoffe, Anna Mia war nicht zu enttäuscht? Arne ist gleich hier, er setzt dich dann ins Bild.«
    Sie lächelte und fuhr mit ihrem Telefonat fort, noch bevor er etwas sagen konnte. Er erwiderte ihr Lächeln zögerlich und dachte, dass sie schöne Zähne hatte. Dann entspannte er seine Bauchmuskeln wieder und blickte noch einmal aus dem Fenster. Es war nicht weniger ernüchternd als zuvor. Das Telefonat der Comtesse dauerte an, was er als ebenso untrüglichen wie unangenehmen Fingerzeig deutete, dass die Mordkommission, wenn es denn so weit war, auch ausgezeichnet ohne ihren derzeitigen Leiter auskommen würde.
    Oder doch nicht? Mit halbem Ohr hatte Konrad das Telefonat belauscht – er nahm an, dass die Comtesse mit einem Kriminaltechniker sprach –, als er plötzlich gewahr wurde, dass da etwas nicht stimmte. Die leicht exaltierte Stimmlage und die Tatsache, dass es um Probleme ging, die viel zu detailliert für den derzeitigen Stand der Ermittlungen waren. Als sie eine Frage, die sie zuvor bereits einmal gestellt hatte, fast wortgetreu wiederholte, legte er seine Hand auf den Arm, der das Telefon hielt, und drückte ihn sanft nach unten. Abrupt beendete sie das Gespräch.
    »Wann hast du zuletzt etwas gegessen?«
    »Keine Ahnung, ist schon ’ne Weile her. Wie viel Uhr ist es?«
    Er kannte diesen Zustand nur zu gut und wusste, dass er vorübergehend war. Jeder Ermittler wurde irgendwann einmal mit einem Fall konfrontiert, der ihm unter die Haut ging und mit dem er nicht klarkam. Dann setzten sich unangenehme, grausame Bilder im Hinterkopf fest, die man nicht verdrängen konnte. Genau so schien es ihr bei diesem Fall zu gehen. Er selbst hatte die größten Probleme, wenn es sich bei den Opfern um Kinder handelte, aber damit war er keine Ausnahme. Außerdem war
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