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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Flossenbürg, in dem sie noch vor wenigen Wochen mit Skrowka herumspaziert war. Dann war der junge Wissenschaftler wieder zu sehen, wie er zu der außergewöhnlichen Bedeutung dieses Fundes und der Chance einer historischen Aufarbeitung Stellung nahm. Bei zwei von den sechzehn Getöteten bestehe sogar Aussicht darauf, dass man ihre Identität würde feststellen können. Ja, man habe die Überreste von sechzehn Menschen gefunden, nicht, wie ursprünglich gemeldet, siebzehn. Einer der Toten sei durch Zahnunterlagen aus Belgien bereits so gut wie sicher identifiziert. Zudem sei ein Stück Blech gefunden worden, vermutlich ein behelfsmäßiger Löffel, auf dem eine Nummer eingeritzt worden sei. Die Nummer konnte einem französischen Häftling zugeordnet werden. Natürlich könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Löffel weitergegeben wurde, aber man habe immerhin einen Anhaltspunkt für eine mögliche Identitätsfeststellung. Zwei von sechzehn wären ein phänomenaler Erfolg. Immerhin zwei Familien würden Gewissheit bekommen.
    Dr. Breit erwies sich als ein Segen. Er schirmte sie höchst wirksam gegen die Presse ab und war beide Male dabei, als die Staatsanwaltschaft sie bezüglich ihres Aufenthalts und ihrer Tätigkeit in Waldmünchen befragte. Die erste, fast vierstündige Befragung erfolgte noch in Großhadern, die zweite bereits im Haus ihrer Mutter. Anja erstattete Strafanzeige gegen Thomas Schlei alias Alois Leybach wegen versuchten Mordes. Von einer Anzeige gegen Konrad Dallmann sah sie nach langen Überlegungen ab.
    Sie entschied auch, dass sie der Bergung der Gebeine ihres Vaters nicht beiwohnen wollte. Sie sprach lange mit ihrer Mutter darüber. Auch ihre Oma Inge Grimm, die Mutter ihres Vaters, wurde befragt, und am Ende kamen sie überein, dass der Boden in ihrer Abwesenheit ausgehoben werden sollte. Dr. Breit vertrat sie und übermittelte ihnen zehn Tage später einen Bericht sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse der unterschiedlichen Untersuchungen. Anja überflog nur die ersten Absätze. Es war ihr Vater. Er war erschlagen worden, entweder von Thomas Schlei oder von Johanna Ruschka. Schlei beschuldigte seine Frau, und er war der einzige lebende Tatzeuge.
    Die Beisetzung von Johannes Grimm erfolgte Anfang Dezember auf dem Westfriedhof von Ingoldstadt. Inge Grimm hatte gewünscht, dass ihr Sohn in ihrer Nähe seine letzte Ruhe finden möge, und weder Anja noch Franziska brachten es übers Herz, der alten Frau dies zu versagen. Seine Geburtsstadt schien nach allem ein geeigneter Ort zu sein.
    Anja war erstaunt, wie viele Menschen den Weg zur Beerdigung fanden. Menschen, die sie nicht kannte, kontaktierten sie plötzlich und erkundigten sich nach dem Termin. Arbeitskollegen ihres Vaters, Bekannte von früher, sogar Freunde aus der Studienzeit ihrer Eltern, mit denen ihre Mutter keinerlei Kontakte mehr gepflegt hatte, meldeten sich.
    Ihr Vater war nicht religiös gewesen und schon in den sechziger Jahren aus der Kirche ausgetreten. In dieser Beziehung wurde seiner Mutter auch nicht nachgegeben, und Franziska, die eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht hatte, bestand nachdrücklich auf eine Trauerrednerin, die sie auch selbst auswählte und einwies. Sie hatte mehrere kontaktiert und sich dann für eine junge Schweizerin entschieden.
    Die junge Frau hatte einen Vers aus einem alten Volkslied als Aufhänger für ihre Rede gewählt. Ein Kinderlied. Anja war zunächst irritiert. Aber je länger sie sprach, desto stärker berührte sie das naive Anliegen des eigentlich rührseligen und kitschigen Textes. Dass keiner verlorengehe, dass jeder vermisst würde, dass jeder Name erinnert sei. Sie sprach etwa zwanzig Minuten lang. Die Aussegnungshalle war zu zwei Dritteln gefüllt. Neben dem Sarg stand ein großes Schwarzweißporträt ihres Vaters, das ihn im Alter von vierunddreißig Jahren zeigte. Er lachte in die Kamera. Das Bild war im Sommer aufgenommen worden. Am Starnberger See. Aber der Ausschnitt zeigte nur sein Gesicht. Und der Herr rief sie mit Namen, dass sie alle ins Leben kamen.
    Zwischen den Blumen und Gebinden, die das Grab schmückten, lag auch ein Kranz aus Faunried. Ein Spruch von Karl Rahner zierte die Banderole: Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten. Signiert war er von Marga und Annelie Gollas.
    In den Tagen nach der Beerdigung dachte sie immer häufiger an die Familie Gollas. Über sie verlautete kaum etwas in den Medien. Sie bat Dr. Breit, sich nach ihnen
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