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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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sah ihre Mutter an. Niemand sprach ein Wort. Dr. Breit blieb noch einige Augenblicke lang unschlüssig stehen. Dann griff er nach seinem Mantel, verabschiedete sich und verließ den Raum.

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    I hre Genesung zog sich so lange hin, dass sie die weiteren Vorgänge in Faunried nur aus der Ferne beobachten konnte, zunächst noch einige Tage lang von ihrem Krankenbett in Erlangen aus, dann – auf Anraten von Dr. Breit und auch, um ihrer Mutter weitere Hotelnächte zu ersparen – aus dem Klinikum Großhadern, in das sie verlegt wurde, sobald sie transportfähig war. Aber sie hätte auch in Oslo oder Athen sitzen können: Das Medienecho, das einsetzte, nachdem im Greiner Bühl die Überreste von siebzehn ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Flossenbürg gefunden worden waren, hallte überallhin, wobei schon bald nicht allein der grausige Fund die Öffentlichkeit beschäftigte, sondern zunehmend die sonderbaren Begleitumstände der späten Entdeckung. Inzwischen lief nicht nur gegen Konrad Dallmann ein Ermittlungsverfahren. Auch gegen einen bereits pensionierten Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Weiden wurde ermittelt, da die Behörde in immer größere Erklärungsnot geriet, wie es möglich gewesen sein konnte, dass ein seit Jahren gesuchter Kriegsverbrecher und seine nicht minder belastete Frau sozusagen in Sichtweite des Ortes ihrer Untaten unbehelligt hatten leben können, gedeckt und geschützt durch eine falsche Identität, die sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch auf verbrecherische Weise zugelegt hatten.
    Nach Aussage von Rudolf Heinbichler, dem bisher einzig geständigen Augenzeugen der Vorgänge vom April 1945, handelte es sich bei der Person, die unter dem Namen Alois Leybach in Faunried gelebt hatte, in Wirklichkeit um den Scharführer Thomas Schlei, der von 1943 bis 1945 in Flossenbürg zahllose Exekutionen durchgeführt und sich dabei durch besonderen Eifer hervorgetan hatte. Schlei hatte im letzten Kriegsjahr mit Johanna Ruschka, die bis zum Dezember 1944 ebenfalls im Lager tätig war, ein Verhältnis begonnen. Nach der Aussage von Heinbichler hatte sich Schlei in den letzten Kriegstagen auf dem Leybachhof bei Johanna Ruschka versteckt. Es sei wohl auch davon auszugehen, dass Ruschkas zweites Kind nicht von Alois Leybach stammte, sondern von Schlei gezeugt wurde. Heinbichler gab an, Scharführer Schlei sei im April mit einigen Männern in Faunried erschienen und habe den Männern im Dorf befohlen, bei der Suche nach entflohenen Häftlingen mitzuhelfen. Heinbichler erklärte, sowohl er selbst als auch etwa ein Dutzend weiterer Männer, von denen die meisten nicht mehr am Leben seien, seien dem Befehl nachgekommen. Er erinnere sich nicht mehr an die genaue Zahl der Häftlinge, die sie in den darauffolgenden Stunden aufgriffen und Schlei zuführten, aber es seien etwa zwanzig gewesen. Sie wurden im Haingries gesammelt, erschossen und in einer dort zuvor ausgehobenen Grube vergraben. Johanna Ruschka und ihr damals sieben- oder achtjähriger Sohn Xaver trafen noch während der Exekutionen auf der Lichtung ein und lauschten Schleis kurzer Ansprache, in der er von den Greueltaten der Roten Armee berichtete und dass auch von den bereits wenige Kilometer entfernt stehenden amerikanischen Verbänden keinerlei Schonung zu erwarten sei. Nach dieser Aktion löste sich die Gruppe sofort auf. Schlei und seine Männer verschwanden.
    Nach Alois Leybach befragt, gab Rudolf Heinbichler zu Protokoll, der sei an dem Massaker nicht beteiligt gewesen. Alois Leybach sei zu diesem Zeitpunkt schon seit Wochen nicht mehr in Faunried gesehen worden. Niemand wusste, wo er sich aufhielt, und er galt nach Kriegsende als vermisst.
    Ein Jahr später, im Herbst 1946, erfuhr Heinbichler, dass Alois Leybach zurückgekommen war und bei Johanna auf dem Leybachhof wohnte. Er suchte ihn auf und sah sofort, dass er nicht Alois Leybach vor sich hatte, sondern SS-Scharführer Thomas Schlei. Jeder habe über den Identitätsbetrug Bescheid gewusst. Aber natürlich hätten sich die Leute damals eher die Zunge abgebissen, als einen ihrer Männer auszuliefern.
    Oliver Skrowka wurde oft zitiert. Einmal sah Anja ihn sogar im Fernsehen. Er wurde in seinem Büro in Flossenbürg interviewt. Dazwischen waren kurze Einschübe geschaltet, die Mitschnitte von den Ausgrabungen im Greiner Bühl zeigten. Aufnahmen von Knochen und Schädeln mit Einschusslöchern wechselten sich ab mit Kameraschwenks über den Granitsteinbruch von
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