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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben
Autoren: Lois Duncan
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das Weite, wenn sie auftauchte, als wäre sie eine außerirdische Bedrohung. Lorelei war diese ablehnende Haltung vollkommen egal. Im Gegenteil, sie fasste sie sogar als eine Art Kompliment auf.
    Der Grund, warum ich so überrascht war, sie an dem Tag in der Schule zu sehen, war, dass zwischen ihr und Mom seit ein paar Wochen Funkstille herrschte. Was nichts Ungewöhnliches war. Die beiden waren so verschieden, dass sie sich ständig wegen irgendetwas in den Haaren lagen. Der aktuelle Streitpunkt war, dass Mom sich geweigert hatte, die Arbeit an dem Buch, an dem sie gerade saß, zu unterbrechen, um eine Presseerklärung für die Wohltätigkeitsveranstaltung zu schreiben, die Lorelei momentan vorbereitete.
    »Wieso hast du mich abgemeldet?«, fragte ich sie jetzt. »Ich hab nach der Schule noch Training.«
    »Ich fürchte, das wirst du heute ausfallen lassen müssen«, entgegnete Lorelei. »Deine Mutter hat mich gebeten, dich abzuholen.«
    »Ich dachte, du und Mom hättet Streit«, sagte ich.
    »Ich weiß gar nicht, wie du auf so eine Idee kommst.« Lorelei warf der rothaarigen Frau, die unserem Gespräch mit unverhüllter Neugier folgte, einen scharfen Blick zu. »Und jetzt lass uns gehen, April. Wir unterhalten uns im Wagen weiter.«
    Seufzend folgte ich ihr auf den Besucherparkplatz der Schule und stieg in ihren weißen Porsche. »Okay, jetzt sind wir im Wagen«, sagte ich, während ich mich anschnallte. »Also, was ist los?«
    Lorelei zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich war gerade im Country Club, als deine Mutter mich anrief und bat, dich von der Schule abzuholen.«
    »Und du hast sie nicht nach dem Grund gefragt?«
    »Natürlich habe ich sie nach dem Grund gefragt«, gab Lorelei entrüstet zurück. »Aber sie meinte, sie könne jetzt nicht reden und würde es mir später erklären. Sie klang so verstört, dass ich nicht weiter nachgehakt habe. Ich habe mein Mittagessen stehen gelassen und bin sofort losgefahren.«
    Da wir beide an nichts anderes denken konnten, als daran, was es mit Moms Anruf auf sich hatte, verbrachten wir den Rest der Fahrt schweigend.
    Als wir zu Hause ankamen, stand neben Moms SUV ein zweiter Wagen in der Einfahrt, sodass Lorelei auf der Straße parken musste. Sie tat es, ohne sich darüber zu beschweren, was meine Nervosität nur noch mehr steigerte, weil es das Sonderbare der Situation noch unterstrich. Lorelei machte immer viel Aufhebens um ihren Porsche und parkte sonst nie auf der Straße.
    Als wir ins Haus traten, kam uns schon mein Bruder entgegengelaufen, dicht gefolgt von Porky. Brams Augen leuchteten und sein Gesicht glühte vor Aufregung.
    »Ich durfte heute früher von der Schule nach Hause!«, rief er. »Und wisst ihr, was noch? Wir machen eine Mini-Tour!«
    »Wovon redest du?«, fragte ich verwirrt. »Mini-Tour« war der familieninterne Ausdruck für einen Kurztrip oder einen Ausflug.
    Ich blickte an ihm vorbei ins Wohnzimmer und sah Mom mit einem Mann auf dem Sofa sitzen. Sie unterhielten sich, aber als wir hereinkamen, drehten sie sich beide zu uns um. Beim Anblick ihrer sorgenvollen Gesichter erfasste mich eine dunkle Ahnung.
    »Onkel Max!«, rief ich. »Du hast uns ja schon ewig nicht mehr besucht!«
    »Hallo, April«, sagte Max. »Du wirst wirklich von Mal zu Mal hübscher.« Die Tatsache, dass er nicht lächelte, verstärkte meine Unruhe noch. Max lächelte sonst immer – ein strahlendes Lächeln, das so intensiv war, dass es einen fast blendete. Dad und Max kommen beide aus Pittsburgh und sind schon seit ihren Kindertagen befreundet, weil sich ihre Familien ein Doppelhaus geteilt hatten. Wenn sie abends in ihren nur von einer papierdünnen Wand getrennten Betten lagen, machten sie vor dem Einschlafen immer Klopfzeichen. »Ich konnte durch die Wand hindurch spüren, wie er dabei breit grinste«, hatte Dad mir irgendwann einmal lachend erzählt. »Es war, als würde man einen kleinen Stromschlag bekommen.«
    Ohne dieses Lächeln war Max’ Gesicht viel weniger attraktiv und ich entdeckte darin Falten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Lorelei«, sagte Mom, »bestimmt erinnerst du dich noch an Max Barber. Er und George kennen sich schon seit einer Ewigkeit.«
    »Ich erinnere mich außerdem, dass er beim FBI ist«, entgegnete Lorelei, dann wandte sie sich an Max: »Und der Stimmung in diesem Raum entnehme ich, dass Ihr Besuch nicht privater Natur ist.«
    Statt etwas zu erwidern, sah Onkel Max Mom an.
    »Ich werde es ihnen selbst
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