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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben
Autoren: Lois Duncan
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sagen«, beantwortete sie die unausgesprochene Frage. Dann hielt sie inne, als suche sie nach den richtigen Worten. »Kinder, heute Morgen ist etwas Schreckliches passiert. Jemand hat im Gerichtssaal auf euren Vater geschossen.«
    Der ungeheuerliche Satz blieb in der darauffolgenden Stille hängen. Die Worte waren so unfassbar, dass niemand sie begreifen konnte.
    »Du meinst, Dad ist erschossen worden?«, schaffte ich es schließlich zu flüstern.
    »Nein!«, rief Mom. »Natürlich nicht! Tut mir leid, das hätte ich sofort dazusagen sollen … Der Schuss ging daneben, Dad wurde nicht getroffen. Max ist von Washington hierhergefahren, um es uns persönlich zu sagen. Er wollte nicht, dass wir es aus den Nachrichten erfahren.«
    Brams Gesicht war so weiß, dass sich seine Sommersprossen wie ein Pünktchenmuster von seiner Haut abhoben. »Wieso schießt jemand auf Dad?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    »Um ihn daran zu hindern, als Zeuge auszusagen«, erklärte Max. »Ab sofort wird er strengstens bewacht, darauf gebe ich euch mein Wort.«
    »Ich gehe davon aus, dass der Schütze gefasst wurde.« Lorelei formulierte es nicht als Frage, sondern als Feststellung.
    »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass dies nicht der Fall ist«, antwortete Max. »So unvorstellbar es scheinen mag, niemand hat wirklich gesehen, wie es passiert ist. Die Verhandlung wurde um die Mittagszeit ausgesetzt und in den Fluren wimmelte es nur so von Leuten. Der Attentäter benutzte einen Schalldämpfer, und da George nicht getroffen wurde, haben wir nicht unmittelbar mitbekommen, was passiert war. Bis die Sicherheitsleute die Ausgänge blockiert hatten, hatten die meisten Zuschauer den Gerichtssaal bereits verlassen.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Warum sollte irgendjemand denken, dass Dad …«
    »Darüber unterhalten wir uns später«, unterbrach mich Mom. »Ich möchte, dass du jetzt nach oben gehst und packst. Wir werden ein paar Tage verreisen.«
    Lorelei wandte sich an Max. »Wohin bringen Sie meine Tochter und die Kinder? In Georges Nähe sind sie bestimmt nicht sicher.«
    »Ich habe nicht vor, sie nach Washington zu bringen«, sagte Max. »Das ist im Moment der letzte Ort, an dem sich Georges Familie aufhalten sollte. Ich glaube zwar nicht, dass ihnen hier in Norwood wirklich irgendeine Gefahr droht, aber um jedes Risiko auszuschließen, halte ich es für das Beste, wenn sie ihr Haus für ein paar Tage verlassen.«
    Ich versuchte es noch einmal. »Aber was weiß Dad, dass …«
    »Bitte, April, hör auf, Fragen zu stellen«, unterbrach mich Mom erneut. »Dafür ist jetzt keine Zeit. Geh in dein Zimmer und such ein paar Sachen zusammen. Max fährt uns anschließend in ein Hotel.«
    Ich kam mir vor, als wäre ich plötzlich in einem B-Movie gelandet. Widerstrebend ging ich die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Die Reisetasche, die ich benutzte, wenn ich bei einer Freundin übernachtete, war in meinem Schrank, wo ich sie nach meinem letzten Besuch bei Sherry verstaut hatte. Als ich sie herausholte und aufmachte, stellte ich fest, dass ich sie noch gar nicht ausgepackt hatte. Ein Schlafanzug und eine alte Ausgabe von Entertainment Weekly lagen darin, ein frankierter Umschlag mit der Bestellung eines neuen Zeitschriften-Abos, mein rotes Lieblingskapuzenshirt, das ich schon die ganze Zeit gesucht hatte, und eine Jeans, von der ich gedacht hatte, ich würde sie nie wiedersehen.
    Die Sachen rochen muffig, weil sie so lange in der geschlossenen Tasche gelegen hatten, und ich stopfte sie im Badezimmer in den Wäschekorb. Zurück in meinem Zimmer, starrte ich eine Weile unschlüssig auf die Tasche und überlegte, was ich alles mitnehmen sollte. Ich fragte mich, ob wir im Colonial Inn wohnen würden, denn wenn ja, würde ich etwas Hübsches fürs Abendessen brauchen. Das Inn hatte einen eleganten Speisesaal, der abends von Kerzen beleuchtet wurde, während im Hintergrund eine Frau in einem altmodischen Cocktailkleid auf einer Harfe spielte.
    Seltsamerweise verspürte ich keinerlei Angst, aber dafür hätte ich wohl erst einmal begreifen müssen, dass das alles gerade wirklich passierte, und das konnte ich nicht.
    Ich nahm ein Kleid vom Bügel und legte es ordentlich in die Tasche, zusammen mit meinen hohen Schuhen und einer schwarzen Strumpfhose. Dann packte ich noch meine Seven-Jeans ein, eine Bluse, ein T-Shirt, zwei Garnituren Unterwäsche, einen Schlafanzug und meinen Kulturbeutel. Als ich die Tasche gerade zumachen wollte, fiel
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