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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
Autoren: Petra Busch
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drohenden Insolvenz um finanzielle Unterstützung gebeten. Diese hatten keinen Cent herausgerückt – dafür aber den Schwiegersohn stadtweit an den Pranger gestellt.
    Es war dieser eine Tag, dachte Ehrlinspiel. Der Tag, der jedes Jahr die Wochen vor Weihnachten einläutet – die Zeit, in der das Verbrechen, so scheint es, seine schrecklichsten Ausprägungen findet. In der die Dunkelheit die Stunden frisst, Blätter und Blüten ihr Feuer verlieren und das Leben sich in den letzten Winkeln der Natur verkriecht. Die Menschen ziehen sich in die Häuser zurück. Da sitzen sie dicht aufeinander, und in dieser Enge gibt es kein Entrinnen mehr vor den zwischenmenschlichen Abgründen und gärenden Konflikten. Die Leute sehnen sich nach Wärme. Doch viele Seelen frieren, und der Druck steigt, je näher das Fest rückt und je höher die Erwartungen an ein heiles Familienleben und einträchtige Feiertage werden.
    Ehrlinspiel, der Weihnachten am liebsten bei seiner jüngsten Schwester feierte, konnte sich an keinen Heiligabend erinnern, an dem ihn nicht ein Mord aus dem fröhlichen Spielen mit Nichten und Neffen gerissen hätte. Und zu dem er nicht schon mit tiefen Ringen unter den Augen erschienen wäre.
    Er nippte an dem kalten Kaffee. Die trübe Flüssigkeit schmeckte, wie Hanna Brock sie kommentiert hatte: grauenhaft. Zumindest in diesem Punkt hatte sie die Wahrheit gesagt. Doch auch sonst wirkte sie im Grunde harmlos. Aber was bedeutete das schon? Auch Spatzen wirkten harmlos. Waren es aber nicht. Nicht wenn man selbst ein Insekt war. Auf jeden Fall war so ein geflügelter Genosse deutlich freundlicher als seine Zeugin.
    Im Geiste notierte sich Ehrlinspiel, was zu tun war. Oberstaatsanwältin anrufen. Mit den Eltern und Elisabeth Kühns anderen Verwandten sprechen. Ihre Freunde befragen. Dorfbewohner unter die Lupe nehmen. Ergründen, was vor zehn Jahren passiert und was Elisabeth für ein Mensch gewesen war.
    Das Klingeln seines Handys riss ihn aus den Gedanken.
    »Ich bin’s, Paul«, meldete sich Kriminalkommissar Freitag, der sich als Einziger selbst beim Vornamen nannte. Alle anderen bevorzugten seinen Nachnamen, weil er an einem Freitag seinen Dienst angetreten hatte und den Kollegen so treu zur Seite stand wie sein literarischer Namensvetter dem Robinson Crusoe.
    »Was herausgefunden?«
    »Der Ehemann heißt Alexander Kühn. Die Berliner Kollegen haben mit ihm gesprochen. Er ist gerade erst aus den USA zurückgekommen. Hat dort Niederlassungen seiner Immobiliengesellschaft besucht. Sein Alibi ist wasserdicht.«
    »Wie hat er reagiert?«
    »Schockiert. Verzweifelt. Wütend. Die ganze Palette. Seit Elisabeth schwanger war, war sie wie ausgewechselt. Es wäre ein Mädchen geworden. Elisabeth hat sich laut Kühns Worten …«, Ehrlinspiel hörte Papier rascheln, »wie eine Königin auf ihre Prinzessin gefreut und endlich ihre latente innere Trauer abgelegt.«
    »Mhm.«
    »Kühn gibt weiter an, selbst nie im Dorf gewesen zu sein und nicht zu wissen, was der eigentliche Grund für ihre Trauer war. Elisabeth hat nicht viel darüber erzählt, und er hat das akzeptiert. Anscheinend war sie aber plötzlich voller Zuversicht und ist in bester Stimmung in das Dorf gefahren, um irgendeinen Geburtstag zu feiern.«
    »Den Sechzigsten ihres Vaters«, sagte Ehrlinspiel nachdenklich.
    »Komische Sache.«
    »Allerdings.« Der Hauptkommissar fuhr sich mit der Hand über die Nasenspitze. »Die fährt doch nicht so mir nichts, dir nichts hierher, als wäre die letzten zehn Jahre nichts gewesen?«
    »Vielleicht war ja wirklich nichts.«
    »Was wusste Kühn sonst noch?«
    »Nichts Relevantes. Er scheint eher der weiche Typ zu sein, der andere ihr Ding machen lässt und sich selbst zurücknimmt. Hat auch kein bisschen protestiert, als ich ihm angekündigt habe, dass die Berliner Techniker jetzt seine Wohnung auseinandernehmen.«
    »Okay.«
    »Soll ich Bentley und Bugatti füttern?«
    »Du bist unbezahlbar, Freitag.«
    »Stets zu Diensten, Meister.«
     
    Ehrlinspiel setzte sich auf einen Barhocker. »Ein Pils, bitte.«
    »Sie müssen noch fahren.«
    »Nicht, wenn Sie mir ein Zimmer vermieten.«
    Der Wirt nahm wortlos ein Glas, hielt es schräg unter den Zapfhahn und füllte es zur Hälfte. Dann stellte er es ab, bis er nachzapfen konnte.
    Aus der Küche waberte der Geruch nach altem Fett, und in der Gaststube mischte sich das Klirren von Gläsern und Besteck mit rauhen Stimmen. Fast alle Gäste waren Männer. Die meisten trugen Hemden
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