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Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma
Autoren: Brent Weeks
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Gefühl war zu alt, zu viele Male ausgebeutet worden, um ihm noch echte Wärme zu schenken. Sechstausend Tage später war er zu erniedrigt, um seine Erniedrigung zu verübeln. Er legte beide Hände in seinen Urin und schrubbte damit die Schale ab, wie er sie mit seinen Ölen abgeschrubbt hatte. Selbst aller Farbe beraubt war Urin immer noch Urin. Er sollte immer noch ätzend sein. Er sollte den Höllenstein schneller aushöhlen, als Hautöle allein es vermochten.
    Vielleicht neutralisierte der Urin aber auch die Hautsubstanzen, mit denen er sein Werk begonnen hatte. Möglicherweise schob er den Tag seiner Flucht so nur immer weiter und weiter in die Ferne. Er hatte keine Ahnung. Das war es, was ihn verrückt machte, nicht der Umstand, dass er die Finger in warmen Urin tauchte. Nicht mehr.
    Er schöpfte den Urin aus der Schale und trocknete sie mit einem Bündel blauer Lumpen: Seine Kleider, seine Kissen, alles stank jetzt nach Urin. Stank so lange nach Urin, dass der Gestank ihm nichts mehr ausmachte. Es spielte keine Rolle. Was zählte, war lediglich, dass die Schale bis morgen trocken sein musste, damit er es abermals versuchen konnte. Ein weiterer Tag, ein weiterer Fehlschlag. Morgen würde er es wieder mit Infrarot versuchen. Es war eine Weile her. Er hatte sich von seinem letzten Versuch hinreichend erholt. Er sollte stark genug dafür sein. Wenn schon nichts anderes, so hatte sein Bruder ihn gelehrt, wie stark er wirklich war. Und vielleicht war es das, was ihn dazu brachte, Gavin mehr zu hassen als irgendetwas sonst. Aber es war ein Hass, der so kalt war wie seine Zelle.

4
    In der frühmorgendlichen Kühle lief Kip über den Stadtplatz – so schnell es sein unbeholfener Körper zuließ. Sein Schuh verfing sich an einem Pflasterstein, und Kip flog kopfüber durch Meister Danavis’ Hintertor.
    »Alles in Ordnung mit dir, Junge?«, fragte Meister Danavis vom Platz an seiner Werkbank, die dunklen Brauen hochgezogen über kornblumenblauen Augen, deren Iris halb gefüllt waren mit dem grellen Rubinrot, das ihn zu einem Wandler machte. Meister Danavis war Anfang vierzig, bartlos und drahtig. Bekleidet war er mit dicken, wollenen Arbeitshosen und einem dünnen Hemd, das trotz des kalten Morgens hagere, muskulöse Arme entblößte. Auf seiner Nasenspitze saß eine rote Brille.
    »Au, au.« Kip betrachtete seine aufgeschürften Hände. Auch seine Knie brannten. »Nein … das ist es nicht.« Er zog seine Hose hoch und zuckte zusammen, als seine zerkratzten Hände über das schwere, einst schwarze Leinen rieben.
    »Gut, gut, denn – ah, hier. Sag mir, sind beide gleich?« Meister Danavis streckte die Arme aus. Beide waren leuchtend rot, von den Ellbogen bis zu den Fingern überzogen mit Luxin. Er streifte sich die Hemdärmel ein Stück herunter, damit seine helle, milchkopifarbene Haut Kip bei seiner Begutachtung nicht störte. Wie Kip war Meister Danavis ein Halbblut – obwohl Kip nie gehört hatte, dass jemand dem Wandler deshalb das Leben schwer machte, so wie es ihm immer wieder schwer gemacht wurde. Der Färber war zur Hälfte Blutwäldler, sein Gesicht markiert mit einigen seltsamen Punkten, die sie Sommersprossen nannten, und einem Anflug von Rot in seinem ansonsten normalen, dunklen Haar. Aber zumindest machte seine ungewöhnlich helle Haut Kip seine Aufgabe leicht.
    Kip deutete auf einen Bereich zwischen dem Unterarm des Färbers und dessen Ellbogen. »Hier nimmt das Rot einen anderen Ton an, und dort ist es etwas heller. Kann ich, ähm, mit Euch reden, Herr?«
    Meister Danavis ließ beide Hände angewidert sinken, und rubinfarbenes Luxin klatschte auf den Boden, der bereits bespritzt war mit hundert Rottönen. Das klebrige Luxin zerbröckelte und löste sich auf. An den meisten Nachmittagen kam Kip her, um die Überreste zusammenzukehren – rotes Luxin war brennbar, selbst wenn es zu Staub zerfallen war. »Superchromaten! Es ist eine Sache, dass meine Tochter eine Superchromatin ist, aber der Ehemann der Alkaldesa? Und du? Zwei Männer in einem kleinen Städtchen, das eher ein Dorf ist? Warte, was ist los, Kip?«
    »Herr, da ist, äh …« Kip zögerte. Das Schlachtfeld war nicht nur verboten, Meister Danavis hatte auch einmal gesagt, dass er es für nichts anderes als schweren Diebstahl halte, dort auf Raubzug zu gehen. »Habt Ihr etwas von Liv gehört, Herr?« Feigling. Vor drei Jahren war Liv Danavis fortgegangen – wie ihr Vater vor ihr –, um sich in der Chromeria ausbilden zu lassen. Und
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