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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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betrachtete verwundert das Profil seines Vaters.
    »In der Wirtschaft ist das anders«, fuhr Vebjørn fort.
»Wirtschaftstheoretiker bauen ihre Herleitungen auf einem angenommenen
Idealzustand auf. Sie konstruieren Modelle. Der Marktwert, sagen sie, der
Marktwert entsteht am Schnittpunkt der Angebots- mit der Nachfragekurve, wenn
wir von einem Modell mit einer unendlichen Menge Anbieter und einer unendlichen
Menge Interessenten ausgehen. Doch diesen Zustand gibt es nicht, in Norwegen
hat er nie existiert. In der gesamten Nachkriegszeit hatten wir das
Milchmonopol, auf dem Benzinmarkt haben wir das Oligopol. In jeder Kauf- und
Verkaufssituation in diesem Land gibt es einen Überschuss an Anbietern oder
umgekehrt – sogar während der Erdbeersaison auf Nes.«
    Per Ole fragte sich, worauf sein Vater eigentlich
hinauswollte. Er fuhr an den Straßenrand, hielt an, ließ den Motor aber im
Leerlauf.
    »Adam Smith spricht vom freien Markt und sagt, die Börse
sei der ideale Ort für freien Handel«, fuhr Vebjørn fort. »Die Börse sei
nicht nur ein Ort, wo Käufer und Verkäufer kommen und gehen, sondern sie sei
auch ein Ort, an dem alle Akteure dieselben Informationen haben. Alle Käufer
wüssten dasselbe, und alle Verkäufer wüssten gleich viel oder wenig. Die
Börse, oder der freie Markt, sei der Ort, an dem es keine Schleichwege und
keine Betrüger gebe. Niemand verfolge niedere Motive. Aber das ist natürlich
eine blanke Lüge. Diesen Zustand gibt es nicht. Der Idealzustand ist nur ein
Modell. Die wahre Geschichte der Börse ist eine ununterbrochene Folge von
Betrügereien und den Versuchen, sich privat illegal zu bereichern. Die
Wirtschaft als Wissenschaft betrachtet gründet nicht auf der Wahrheit. Sie ist
allegorisch, ein Bild, sie ist unwahr. Wer an der Börse Erfolg hat, weiß,
dass sie als idealer Ort für den freien Handel eine Illusion ist. Dass der
eigene Erfolg darauf beruht, dass es einen Haufen Dummköpfe gibt, die die
Illusion für die Wirklichkeit halten. Auf lange Sicht kann an der Börse nur
der Erfolg haben, der ohne Moral handelt.«
    Seine Stimme war leise, fast als wäre es ihm unangenehm, in
so einem roten Porsche zu sprechen, der in Anlehnung an die Sinuskurve
entworfen war und nun auf einem Parkplatz im Schatten der
Holmenkollensprungschanze stand, die wie ein Schwanenhals über Oslo thronte.
Aus dem Autoradio, das ganz leise gestellt war, klang nahezu unhörbar das
Gitarrensolo von
Hotel California.
    Vater und Sohn starrten geradeaus, hinaus auf einen weißen
Schneewall, der die Sicht auf Oslo, das wie eine Sternenkarte im Tal lag,
versperrte. Per Ole war blass. Vebjørn war blass. Die Stille zwischen ihnen
war schwer und düster.
    »Draußen vor der Börse steht Merkur, der Sendbote der
Götter. Der Springbrunnen, weißt du?«
    »Merkur ist der Gott des Handels«, antwortete Per Ole
mechanisch. »Die Figur ist eine Kopie von Giambolognas Figur in Florenz. Ein
Geschenk von Kaufmann Langaard, der Osloer Börse gestiftet am 27. September
1911.«
    Per Oles lexikalische Ausführungen riefen normalerweise ein
Lächeln auf das Gesicht des Vaters. Nicht jedoch heute.
    Vebjørn sagte: »Wenn du so viel weißt, dann weißt du
vielleicht auch, dass Merkur der Gott der Reisenden und der Diebe ist.«
    Per Ole wandte den Kopf und starrte seinen Vater kalt an.
    »Ich glaube, die Römer haben das schon erkannt. Der
Unterschied zwischen redlichem Handel und Gaunerei ist häufig verschwindend
gering.«
    »Was willst du mir eigentlich sagen?«, fragte Per Ole
schließlich.
    »Erinnerst du dich noch, wie du als kleiner Junge versucht
hast, deinen Bruder zu überreden, bei einem Kettenbrief für Limonade
mitzumachen?«
    »Nein.«
    »Jedenfalls: Ich habe es dir verboten.«
    »Das weiß ich nicht mehr.«
    »Dann erinnerst du dich auch nicht mehr an meine
Begründung.«
    Per Ole lächelte freudlos. »Du hast deine Hand schützend
über den kleinen Bruder gehalten. Nicht zum ersten und nicht zum letzten
Mal.«
    Vebjørn musste die Antwort und die Gefühle, in die sie
verpackt war, erst einmal verdauen, ehe er wieder den Mund aufmachte.
    »Solche Pyramidenspiele bauen auf zweierlei Voraussetzungen
auf: erstens, dass man unendlich viele Mitspieler hat, und zweitens, dass die
Kette nicht unterbrochen wird. Diese beiden Voraussetzungen sollen dafür
sorgen, dass die Mitspieler oben auf der Liste von Mitspielern weiter unten auf
der Liste zu Reichtum gebracht werden. Das
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