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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen
Autoren: Masuji Ibuse
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LKW gesessen und war einfach heruntergeblasen worden. „Der Luftschutzbunker
ist hinter dem Haus“, sagte Herr Nojima, aber keiner stand auf, um dort
hinzulaufen, er selbst rührte sich auch nicht vom Fleck. Über der Stadt stieg
Rauch hoch zum Himmel auf. Wir konnten das über der weißgetünchten Gartenmauer
aus Lehm sehen. Es war wie der Rauch aus einem Vulkan oder wie eine Wolkensäule
mit ganz scharf gestochenen Umrissen; eins war sicher: es war kein gewöhnlicher
Rauch. Als ich da draußen hockte, zitterten meine Knie so heftig, daß ich sie
gegen einen Felsbrocken pressen mußte, ohne eine kleine weiße Blume zu schonen,
die sich daran klammerte.
    „Die müssen irgendeine neue Waffe abgeworfen
haben“, hörte man Herrn Nojima hinter einem der Felsen sagen.
    „Ob jetzt wohl alles vorbei ist?“ fragte Frau
Nojima.
    Ganz sachte, wie Krebse krochen wir zwischen
Steinen hervor und hoben den Kopf über die Felsbrocken. Schließlich liefen wir
alle aus dem Garten zum Tor, um nach der Stadt zu blicken. Der Rauch war hoch
in den Himmel gestiegen und breitete sich immer mehr aus, je höher er stieg.
Ich erinnerte mich an ein Foto von brennenden Öltanks in Singapur, das ich
einmal gesehen hatte. Die Aufnahme war gemacht worden, als die japanische Armee
gerade die Stadt eingenommen hatte, und die Szene war so gräßlich, daß ich mich
damals fragte, ob man so was wirklich rechtfertigen konnte. Der Rauch stieg
höher und immer höher in den Himmel und bildete eine schirmartig geformte
Wolkenbank, die drohend über allem stand, wie ein kopflastiges Ungeheuer. Ob
die B-29 eine Art Ölbombe abgeworfen hatte? Die verheirateten Frauen
pflichteten alle Herrn Nojimas Theorie über eine neue Waffe bei. Eine
strohgedeckte Hütte am Fuße des Hügels vor dem Tor war eingestürzt. Häuser, die
Dachziegel gehabt hatten, waren jetzt abgedeckt.
    Herr Nojima sprach eine Weile mit seinem
Schwiegervater, dann gingen beide zum Zierbrunnen hinunter, blieben dort stehen
und redeten weiter. Schließlich kam Herr Nojima zu uns herüber und sagte
entschlossen: „Ich kann mir denken, daß Sie sich alle um Ihre Familien sorgen.
Wenn Sie wollen, fahre ich Sie jetzt in die Stadt. Meine Frau macht sich
Gedanken um die Kinder und möchte sofort nach Hiroshima zurück.“
    Ich sah auf die ungeheuerliche Wolke und
überlegte, ob ich mich wohl traute, unter ihrem Schatten nach Hause zu fahren.
Es schien mir das Unheil geradezu herauszufordern. Aber ringsum ertönte es im
Chor: „O ja, bitte!“ — „Gott sei Dank!“ — „Wir verlassen uns ganz auf Sie, Herr
Nojima.“ Und es wurde beschlossen, sofort aufzubrechen. Wir hatten uns schon
von der alten Dame und dem alten Herrn verabschiedet, als ich plötzlich den
Deckel des Teekessels sah, der auf die Steine vor der Veranda gerollt war. Die
alte Dame gab jedem von uns einen Reiskuchen, in ein Stück Bambusblatt
gewickelt. „Leider ist es nur einfacher gekochter Reis“, sagte sie. „Eigentlich
müßten es Hirseklöße sein, wie die im Märchen, die Momotaro mitnahm, als er
auszog, um die Insel der Teufel zu erobern.“ Sie ließ einen ältlichen Diener
angefeuchtete Strohmatten hinten auf den LKW legen als Schutz gegen Feuer.
    Wir fuhren gegen neun los. Als wir auf die
Hauptstraße kamen, zogen sich dunkle Wolken am Himmel über Hiroshima zusammen,
und Donnergrollen war zu hören. Herr Nojima sah einen Mann auf einem Fahrrad
uns entgegenkommen, der wie wild in die Pedale trat. Er hielt an und sprach mit
dem Mann im Flüsterton. Er erkundigte sich wohl nach dem Verkehr auf der
Chaussee, wollte uns aber nicht beunruhigen. An einer Kreuzung, an der sich
drei Straßen trafen, wendete er und folgte wieder der Richtung, aus der wir
gekommen waren. Dann fuhren wir ans Meer bei Miyazu. Dort mietete Herr Nojima
ein Schwarzmarktboot von einem Fischer, den er offensichtlich kannte, und ließ
bei dessen Haus als Pfand den LKW zurück. Das Boot war zweieinhalb Tonnen groß,
hörte ich, ein Segelboot, nur wenig größer als ein Fischerkahn, aber die
kräftige Gestalt des Fischers und sein ruhiger Gesichtsausdruck flößten
Sicherheit ein. Ich glaubte, daß man sich Herrn Nojima voll und ganz
anvertrauen konnte, wenn er in der Lage war, so einen wie den Fischer aus dem
Hut zu zaubern.
    Die verheirateten Frauen hielten das Gesicht von
der Stadt abgewandt, sie vermieden es, auf Hiroshima zu blicken, als hätten sie
sich verabredet. Ich schaute nach den Inseln Ninoshima und Etajima hinüber.
Herr Nojima
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